Autonome schützen Quedlinburger Asyl

In der Nacht zum Freitag kamen ausländerfeindliche Gewalttäter in Quedlinburg nicht zum Zuge/ Schaulustige sichtlich unzufrieden/ Neue Krawalle für das Wochenende erwartet/ Asylbewerber suchen außerhalb des Heimes Schutz  ■ Aus Quedlinburg E. Löblich

Knisternde Spannung erfüllt am Donnerstag abend die Gegend rund um die Oeringer Straße in Quedlinburg. Nach und nach sammeln sich die ersten Schaulustigen auf dem Bürgersteig gegenüber der Asylbewerberunterkunft. Bierflaschen kreisen, die Leute bringen sich in Stimmung. Sie erwarten die Fortsetzung eines Spektakels, das hier bereits seit drei Nächten regelmäßig stattfindet. Auch für diese Nacht haben rechtsradikale Jugendliche wieder Angriffe auf das Flüchtlingsheim angekündigt. Im weiteren Umkreis rotten sich die ersten Rechtsradikalen zu kleineren Grüppchen zusammen. Geradezu sehnsüchtig werden sie von der Menge vor der Unterkunft erwartet, die sich nicht nur mit Bier, sondern auch mit ausländerfeindlichen und rassistischen Sprüchen in Stimmung bringt.

Doch dann kommen ganz andere. Mit Sprechchören wie „Nazis vertreiben — Flüchtlinge bleiben“ ziehen rund 200 Angehörige der antifaschistischen und autonomen Szene vor dem Flüchtlingsheim auf. Vor dem Zugang bilden sie eine undurchdringliche Mauer aus Menschenleibern. „Wir sind nicht interessiert an einer Eskalation der Gewalt“, erklärt einer ihrer Sprecher. „Wir wollen dieses Flüchtlingsheim hier schützen, unsere Solidarität vermitteln und alle Versuche von Neonazis und Skinheads verhindern, ihre Pogrome fortzusetzen.“

Der Einsatzleiter der Polizeikräfte Riekus Bruns, befürchtet ein Ausufern der Gewalt, Straßenschlachten zwischen Linken und Rechten, und er versucht, den linken Aufmarsch gegen die Ausländerfeindlichkeit zu zerstreuen. „An die Versammlungsteilnehmer hier in der Oeringer Straße“, schallt es aus dem Lautsprecherwagen, „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie hier einen Aufzug instandgesetzt haben, der nicht angemeldet ist. Diese Versammlung, diesen Aufzug löse ich hiermit auf.“ Doch schon bald erkennt der Einsatzleiter, daß er hier irgendwie die Falschen unter den Polizeiknüppel nehmen will. Wenige Minuten später die Kehrtwendung: „Ich bitte Sie, auf jede Gewalt zu verzichten und mit dafür zu sorgen, daß dieser Aufzug, diese Versammlung, einen friedlichen Verlauf nimmt.“

Das ist auch das Interesse der Antifaschisten. Sie verhandeln mit Bruns über die Dauer ihres Aufenthalts vor dem Heim und auch über die Route ihres Abzugs. Unversöhnlich stehen die ausländerfeindlichen Gaffer den Antifaschisten gegenüber. Schimpfworte fliegen über die Straße, aus der Menge werfen Unbekannte Feuerwerkskörper, die jedoch keinen Schaden anrichten. Nach gut zwei Stunden ziehen die Antifaschisten ab.

„Wir kriegen Euch alle!“, rufen Rechtsradikale ihnen nach. Für die Neonazis offenbar ein Aufruf zum Angriff. Mit Leuchtraketen, Bierflaschen und Zwillen werden die abrückenden Linken attackiert. Aus der Menge fliegen einige Feuerwerkskörper zurück in Richtung Angreifer, sonst zeigen sich die Autonomen eher zurückhaltend. Eine Eskalation der Gewalt ist zunächst vermieden. Auf der Bosselwiese, wo sie ihre Autos geparkt haben, werden die Linken plötzlich mit einem Molli beworfen. Das Führungstransparent ihres Demozuges fängt Feuer. Aber da ist die Polizei schon wieder weg.

Vor dem Ausländerheim sind jetzt neben der Polizei noch einige Mitglieder der Bürgerbewegung und der PDS, später gesellen sich auch noch Vertreter anderer Parteien zur Mahnwache. Ob sie der Polizei nicht zutrauen, das Flüchtlingsheim zu schützen? „Darüber möchte ich kein Urteil abgeben“, sagt einer aus der Grünen Partei. „Aber ganz egal, ob sie das können oder nicht — ich finde es wichtig, daß Leute aus der Bevölkerung ihre Haltung gegen Ausländerfeindlichkeit offen zeigen, den jugendlichen Steinewerfern eindeutig klarmachen, daß sie nicht nur Beifall ernten.“

Klar ist jedenfalls, daß die meisten Bewohner des Heimes der Polizei nicht zutrauten, sie wirksam gegen die Angriffe der Rechtsradikalen zu schützen. Von den 81 AsylbewerberInnen in der Quedlinburger Unterkunft, davon fast die Hälfte Kinder, waren 47 am Abend nicht in das Heim zurückgekehrt. Sie hatten offenbar aus Angst vor weiteren Angriffen an anderen Orten Unterschlupf gesucht und gefunden. Und auch die Heimbewohner, die anwesend waren, kamen nicht zur Ruhe. Bis weit nach Mitternacht saßen Erwachsene wie Kinder komplett angezogen in den Räumen — jederzeit bereit zur Flucht. Die Sicherheit, die sie in Deutschland suchten — in Quedlinburg haben sie sie nicht gefunden.

Einsatzleiter Riekus Bruns nennt es nach dem Einsatz ein Verdienst seiner Polizei, daß es in dieser Nacht nicht wieder zu Angriffen auf das Flüchtlingsheim gekommen ist. In der Nacht zuvor hatten die Einsatzkräfte 71 von rund 100 rechtsradikalen Jugendlichen vorläufig festgenommen, acht davon bleiben in Haft. Nach Einschätzung von Bruns war es die hohe Zahl der Festnahmen in der Nacht zuvor, die die Rechtsradikalen vor weiteren Angriffen abgeschreckt hat. Tatsächlich war es aber offenbar nicht die Polizeipräsenz, sondern vor allem die Anwesenheit von rund 200 AntifaschistInnen und Autonomen, die weitere Auseinandersetzungen verhinderte. Vor den Linken hatten die Ausländerfeinde und Rechtsradikalen offenbar mehr Respekt als vor den Ordnungshütern. Über CB- Funk ließ sich der vermutliche Leiter und Koordinator der ausländerfeindlichen Ausschreitungen von mehreren Kurieren ständig auf dem laufenden halten. Standorte und Stärke der Polizeikräfte interessierten ihn dabei weniger als das mögliche Potential linker Gegner. „Das könnte eventuell ganz schön brenzlig werden, wenn ich Deine Berichte richtig interpretiere“, kommentierte er über Funk die entsprechenden Meldungen eines Kuriers.

Wohl deshalb lassen die Rechtsradikalen in dieser Nacht die Finger von dem Flüchtlingsheim. Unverrichteter Dinge ziehen sie kurz nach Mitternacht wieder ab.

Auch die einheimischen Randalierer verziehen sich nach Hause. Die bis zu 500 ausländerfeindlichen Schaulustigen auf der Straßenseite gegenüber der Flüchtlingsunterkunft müssen sich in dieser Nacht ihren Applaus verkneifen. Schimpfend und zum Teil sturztrunken verdrücken auch sie sich nach und nach. Ein Aufatmen bei den Mitgliedern der Mahnwache. Nicht für die Zukunft, aber wenigstens für diese Nacht. Denn auch die kommenden Nächte werden hier von Gewalt gekennzeichnet sein. Für Samstag abend haben die antifaschistischen Gruppen aus dem Ostharz und Südniedersachsen zu einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassenhaß in Quedlinburg aufgerufen. Sicher wird auch da der Schutz des Flüchtlingsheimes eine Rolle spielen. Denn für den Samstag abend mobilisieren auch neonazistische Organisationen aus Ost und West nach Quedlinburg.