Flirte doch mal wieder!

Ein Wochenendseminar in einer Flirtschule: Der verpaßten Gelegenheiten überdrüssig, trainieren Frauen und Männer das Süßholzraspeln  ■ Von Ralf Knüfer

Das Leben scheint aus einer Reihenfolge verpaßter Chancen zu bestehen, zumindest in einer ganz bestimmten Rubrik der Stadtmagazine. „Märchenprinzen übersehen“, hadert da einer in einer Kleinanzeige mit seinem Schicksal. Tausend feurige Blicke habe er in einer langen Kneipennacht mit ihr, einer dunkelhaarigen Femme fatale, getauscht und tausendmal ist nichts passiert. In seinem Kopf schossen die Gedanken hin und her: Wenn ich zu ihr rübergehe, was sage ich dann? Was mache ich mit dem Frosch im Hals, der sich auch durch kräftiges Räuspern nicht verscheuchen läßt? Jetzt sitzt der Märchenprinz wieder allein zu Hause und träumt und trauert um seine Femme fatale. „Jeder hat mindestens eine Chance. Gibst du uns eine zweite?“ beschwört er zum Schluß der Anzeige eine zweifelhafte Gemeinsamkeit in spe.

Der Märchenprinz könnte einer von denen sein, die das Hadern mit sich selbst in den Stunden oder Tagen danach nicht mehr ertragen wollen. Ein Wochenende lang läßt er sich in der Flirtschule von Sylvia Baeck trainieren – 350 Mark ist ihm das wert.

Die ersten Minuten erwecken bei ihm fast den Eindruck, auf einem konspirativen Treffen gelandet zu sein. Persönliche Gespräche untersagt Sylvia Baeck. Nach einer Tasse Kaffee soll spontan der erste Eindruck, den die Teilnehmer vermitteln, notiert werden. Schweigend vergeht eine halbe Stunde, in der sich alle beäugen. Dann wird fabuliert, was sich hinter der äußeren Erscheinung an Charaktereigenschaften und privatem Hintergrund verbirgt. Jeder und jede rückt in den Mittelpunkt und läßt die Analyse des „ersten Eindrucks“ über sich ergehen, die in einem heiteren Beruferaten endet. Was bleibt, ist die Gewißheit, wie schnell alle mit den vorgefertigten Rollenbildern falsch liegen.

In der zweiten Übung soll jeder den anderen seine Schwächen und Stärken vortragen. Die negative Selbsteinschätzung wird bei allen durch eine Reihe schlechter Charaktereigenschaften untermauert; gute Seiten finden an sich selbst nur wenige. Marc, dessen markantes Gesicht mit einem schlaksigen Körper zu kämpfen hat, schiebt seine langen Beine so weit unter den Tisch, daß er in seinem Stuhl fast zu liegen scheint. Er arbeitet beim Auswärtigen Amt in Bonn und hat unter seinen Stärken „Nicht ganz dumm“ eingetragen. „Sag‘ doch, daß du intelligent bist“, fordert Sylvia Baeck. Marc schüttelt den Kopf und sinkt auf seinem Stuhl noch eine Etage tiefer – das will er partout so nicht sagen. Doch Sylvia Baeck läßt nicht locker und Marc scheint einzulenken: „Also gut“, sagt er, „ich bin relativ intelligent.“ „Schränk das doch nicht ein“, meint Sylvia Baeck. „Aber ich kann doch nicht einfach behaupten, ich sei intelligent“, widerspricht Marc. Schließlich sei das doch eine relative Sache. Zu guter Letzt aber, als ihm kein Platz mehr bleibt, noch tiefer auf seinem Stuhl zu rutschen, gibt er es doch zu. Eine auffällige Gemeinsamkeit haben alle unter ihren Stärken notiert: bei den Freunden seien sie dafür bekannt, gute Zuhörer zu sein, von sich selbst erzählen sie offenbar selten.

Bevor am zweiten Tag die Rollenspiele folgen, beginnt Sylvia Baeck mit einem Exkurs über Körpersprache, die von einer Videokamera festgehalten wird. Das Objektiv ruht auf denen, die sich drei Minuten lang vom anderen Geschlecht in Grund und Boden bekomplimentieren lassen. Krampfhaft wird nach dem gesucht, was Frau oder Mann am Gegenüber belobigen könnten: die schöne Farbe seiner Schuhe und ihr neckisches rotes Haarband. Die Aufzeichnung wird abgespielt, die Körpersprache analysiert. Es bleibt bei einer halbgaren Beratung, die an die Wurzeln gar nicht heranreichen will. Für ein paar KursteilnehmerInnen ist es vielleicht ein Anstoß.

Danach scheinen alle gut genug vorbereitet zu sein, um sich an lebensnahe Situationen heranzuwagen. Für Marc sind es die Cocktailparties im Rahmen des diplomatischen Dienstes. Sein Problem ist, von einem banalen Gespräch zu einer Verabredung mit einer Frau zu kommen. Er schafft es, die Unterhaltung in Gang zu halten. Über einen Umweg zur Malerei gelingt es ihm, sich zu einer fiktiven Ausstellung zu verabreden.

An diesem Nachmittag bleibt es seltsamerweise bei der klassischen Rollenverteilung. Die Männer müssen die Initiative ergreifen, und die Frauen fordern nicht, daß der Spieß auch mal umgedreht wird. Sie übernehmen den passiven Part und greifen den sich plagenden Männern, so gut sie nur können, unter die Arme. Sie geben später zu, daß es im wirklichen Leben ganz anders gelaufen wäre. Der schüchterne Peter kommt, konfrontiert mit der Aufgabe, zwei fremde Frauen im Café anzusprechen, nicht über ein liebenswürdiges „Darf ich mich zu euch setzen?“ hinaus. Dann schweigt er erwartungsvoll. Sylvia Baeck rät, die Hilflosigkeit nicht zu überspielen, sondern zuzugeben, wie nervös man sei.

Am Ende wissen alle, daß sie das Herz in beide Hände nehmen müssen, und vielleicht hätte das auch unserem Märchenprinzen, wenn schon nicht zu einem lebenslangen, so doch zu einem kurzen Glück verholfen. Und wäre der Märchenprinz gänzlich glücklos gewesen, dann immerhin um Stendhals Liebesweisheit reicher: „Die Blicke sind die große Waffe der tugendsamen Koketterie. Man kann mit einem Blick alles sagen und kann doch immer einen Blick ableugnen.“