Der Krieg trennt auch die Feministinnen

Bei der Europa-Tagung der Frauen-Anstiftung kamen Feministinnen aus den Teilrepubliken des früheren Jugoslawien wieder miteinander ins Gespräch/ Forderung nach Anerkennung von Vergewaltigung als Kriegsverbrechen  ■ Aus Prag Dorothee Winden

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien stellt die Feministinnen aus den verschiedenen Teilrepubliken vor eine schwere Zerreißprobe. Der Druck, sich in Kriegszeiten auf die Seite der „eigenen“ Nation zu stellen, ist groß. „Vor dem Krieg war ich Feministin, jetzt bin ich Kroatin“, dieser Satz einer Teilnehmerin macht deutlich, wie sich die Identifikation verschoben hat. Vor dem Krieg haben die Frauen über die Republikgrenzen hinweg eng zusammengearbeitet, doch nun kann die gemeinsame feministische Identität die Differenzen zwischen Kroatinnen und Serbinnen kaum noch überbrücken. Schwierigkeiten gibt es aber auch zwischen den Kroatinnen selbst.

In Zagreb hat sich die Gruppe „Frauenhilfe sofort“ gespalten, die 1988 das erste osteuropäische SOS-Telefon für mißhandelte Frauen und Kinder und ein Frauenhaus gegründet hat. „Im Frauenhaus leben kroatische, serbische und muslimische Frauen mit ihren Kindern. Zum Bruch kam es, nachdem die patriotischen Feministinnen den pazifistischen Feministinnen vorwarfen, im Haus mehr Serbinnen als Kroatinnen aufzunehmen“, sagt Biljana Kašić, die sich selbst zu den Pazifistinnen rechnet. „Den unpatriotischen Feministinnen wurde vorgeworfen, eine neutrale Position in diesem Krieg einzunehmen, weil sie zum Beispiel für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eintreten“, so Kašić. Die Ansicht der Patriotinnen, der Krieg könne nur durch bewaffneten Widerstand beendet werden, war wiederum für die Pazifistinnen untragbar. Die Gruppe trennte sich. Die Patriotinnen betreiben nun das Notruftelefon, die Pazifistinnen das Frauenhaus. „Aber wir versuchen, wieder zusammenzufinden“, sagt Biljana Kašić. Für Slavica Jakobović, die beim Notruftelefon arbeitet, bedeutet Nationalismus „eine Art Selbstverteidigung“. „Ich habe mich immer als Jugoslawin gefühlt, aber seit Kroatien angegriffen wurde, fühle ich mich als Kroatin.“ Aber sie wehrt sich dagegen, in die nationalistische Ecke gedrängt zu werden.

Anfang Oktober fand in Zagreb eine internationale Tagung „Frauen im Krieg“ statt. Die kroatischen Organisatorinnen von „Frauenhilfe sofort“ und der feministischen Zeitschrift Kareta hatten Frauen aus Bosnien und dem Kosovo eingeladen, nicht jedoch aus Serbien. Dies wurde auch von Kroatinnen kritisiert. Eine Serbin aus der Friedensbewegung, die dennoch zur Tagung kam, durfte nicht teilnehmen. „Wir haben uns darum bemüht, daß sie dort reden kann, das hat die Tagung fast gesprengt“, berichtete Heidi Burmeister von der Frauen-Anstiftung, mit deren Unterstützung die Konferenz stattfand. Sie hoffte, daß es bei der Europa-Tagung der Frauen-Anstiftung vom 16. bis 19.Oktober in Jiloviště bei Prag zu einer Annäherung kommen würde. „Wenn wir uns vom Nationalismus spalten lassen, haben wir keine Chance. Wir müssen die von Männern gesetzten Grenzen überschreiten“, so ihr eindringlicher Appell. Sie hoffe, daß die Konferenz „Türen und Perspektiven öffne, quer zum männlichen Machtgefüge, quer zur männlichen Kriegslogik, quer zu Sexismus, Rassismus und Nationalismus und quer zu unseren eigenen Borniertheiten“. Über 120 Teilnehmerinnen aus Ost- und Westeuropa waren nach Prag gereist, darunter zahlreiche Lesben.

Daß hier dann Vertreterinnen aus Kroatien, Bosnien, Serbien, dem Kosovo und Slowenien mitten im Krieg zusammen auf dem Podium saßen, war bereits ein Erfolg.

„Seit acht Monaten ist eine direkte Kommunikation kaum noch möglich, weil die Telefonverbindungen zwischen Serbien und Kroatien unterbrochen sind“, sagte Lepa Mladjenović aus Belgrad eingangs. Sie ist Mitglied der Gruppe „Frauen in Schwarz gegen den Krieg“, die seit einem Jahr jeden Mittwoch in Belgrad eine Mahnwache abhalten. „Ich habe mich nie als Serbien, sondern immer als Jugoslawin gefühlt. Auch jetzt kann ich mich nicht mit Serbien identifizieren“, sagte sie. „Wir haben so oft über unsere Schuld gesprochen.

Manche von uns sind schrecklich deprimiert und von Schuldgefühlen so überwältigt, daß sie wie gelähmt sind. Aber wir müssen die Verantwortung für diese Schuld übernehmen.“

Lepa Mladjenović hält die serbische Regierung für verantwortlich für den Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Ein Standpunkt, den nicht alle serbischen Feministinnen teilen. Auseinandersetzungen haben auch hier einige Frauengruppen vor eine Zerreißprobe gestellt. „Die Frauen der Frauenpartei, die vor den Wahlen 1990 gegründet wurde, hatten so große Meinungsverschiedenheiten, daß sie beschlossen haben, ihre Aktivitäten bis zum Ende des Krieges einzustellen.“ Andere Frauengruppen können nur weiter zusammenarbeiten, indem sie die Frage des Nationalismus vermeiden. „Und dann gibt es Frauen, die halten uns für Verräterinnen der serbischen Nation. Die reden gar nicht mehr mit uns.“ Auch in der Lesben- und Schwulengruppe Arkadia, in der sie arbeitet, konnte keine gemeinsame Linie gefunden werden. „Als wir vor zwei Monaten einen Appell gegen den Krieg schreiben wollten, sagten die Schwulen, daß sie sich wegen ihres Schwulseins in der Gruppe organisiert haben und sich mit anderen Dingen nicht befassen wollten. Zwei Lesben der Gruppe haben sich sogar paramilitärischen serbischen Einheiten angeschlossen“, sagt Lepa Mladjenović.

Wie sehr das Denken von nationalen Kategorien bestimmt wird, zeigte sich auch in einem Appell der kroatischen Frauengruppen an die UNO, das Europäische Parlament und die kroatische Regierung. Darin heißt es: „Vergewaltigungen gehören in diesem Krieg zur Taktik der Eroberer der jugoslawischen Armee, das heißt der serbischen und montenegrinischen Armee.“ Daß auch kroatische und bosnische Soldaten Frauen vergewaltigen, wird nicht erwähnt.

Abgesehen von der eintägigen Diskussion im Plenum kamen die Frauen aus dem Kriegsgebiet auch untereinander wieder ins Gespräch. „Es ist klar geworden, daß wir in Zagreb und Belgrad ähnliche Probleme haben. Die Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigungen haben überall zugenommen“, sagte Lepa Mladjenović. So einigten sich die Frauen aus allen ehemaligen Teilrepubliken auf ein Fünf-Punkte-Papier. Darin unterstützen sie die Forderung der kroatischen Frauengruppen, daß Vergewaltigungen in der Genfer Konvention als Kriegsverbrechen eingestuft und vor den Internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen gebracht werden; sie wollen sich gegen die zunehmende Gewalt gegen Frauen einsetzen und darauf hinarbeiten, in allen Teilrepubliken Zentren für im Krieg vergewaltigte Frauen zu eröffnen. In dem Papier machen sie die serbische Regierung für die „Besetzung des Kosovo“ verantwortlich und warnen vor der Gefahr einer Ausweitung des Krieges. Sie kritisieren die serbische und kroatische Regierung, weil sie das Recht auf Abtreibung wegen einer nationalistisch gefärbten Bevölkerungspolitik einschränken wollen.

Bedrückte Stille machte sich breit, als die Referentinnen die zunehmende Gewalt gegen Frauen schilderten. Viele Teilnehmerinnen sagten, daß sie sich hilflos fühlen angesichts dieses Kriegs. „Wir verhalten uns mehr oder weniger als Zuschauerinnen“, mahnte Heidi Burmeister. „Es gibt aber nicht das Recht und das Privileg, sich herauszuhalten.“

Für Biljana Kašić ist die dringlichste Aufgabe, in mehreren kroatischen Städten Krisenzentren für vergewaltigte Frauen einzurichten. Zudem müßten sämtliche verfügbaren Informationen und Dokumente über die von Soldaten mißbrauchten Frauen und Kinder zusammengetragen werden. In ihrem Papier mit dem Titel „Was tun nach dem Krieg?“ schlägt sie ein Versöhnungsprogramm vor. „Wir bestehen darauf, daß Frauen der Teilrepubliken und vor allem der sogenannten Angreifer und Angegriffenen miteinander in Verbindung bleiben.“ Eine Aktion, die zusammen fortgeführt werden könne, sei die Suche nach vermißten Kindern. Aber Frauen müßten sich auch dagegen zur Wehr setzen, daß traditionelle Werte wie die Glorifizierung der Mutterrolle wieder an Boden gewinnen, so Biljana Kašić.

Auch die Feministinnen in Belgrad hoffen auf Unterstützung. Frauen, die beim SOS-Telefon arbeiten, wollen ein Zentrum für vergewaltigte Frauen aufbauen, aber es fehlt an Geld. „Noch besser als Konferenzen im Ausland wäre es, wenn Frauen zu uns nach Belgrad kämen und dort an Friedensaktionen teilnähmen“, meinte Lepa Mladjenović. „Das würde sehr vielen Frauen dort Mut machen.“

Auch in anderen osteuropäischen Ländern schafft die Identifikation mit der eigenen Nation Barrieren zwischen den Feministinnen. Die Ansicht der Georgierin Tamara Abramtschwili, die dortigen Nationalitätenkonflikte würden ausschließlich von Rußland geschürt, und in Georgien würden 83 Nationen friedlich zusammenleben, rief den Widerspruch russischer Teilnehmerinnen hervor. Katja Mikeliza aus Moskau wies darauf hin, daß in Georgien Fraueneinheiten auf Seiten des gestürzten Diktators Gamsachurdia kämpfen. Die „Schwarzen Strumpfhosen“ seien ein klassisches Beispiel für die Manipulation von Frauen in der Politik, sagte sie.

Zwischen Feministinnen aus Moskau und Kiew bestehen trotz der Konflikte zwischen der russischen und der ukrainischen Regierung „schwesterliche Verbindungen“, wie es Lena Kochkina aus Moskau ausdrückte. Die Begründerinnen des Ukrainischen Zentrums für Frauenstudien waren auch Mitglied in der Frauengruppe der Ruch-Bewegung, die für die Unabhängigkeit des Landes eintrat. Als eines ihrer Ziele nennen sie in ihrem Mitteilungsblatt neben der Frauenforschung auch die „Wiederherstellung der kulturellen Errungenschaften der Ukraine“. Diese Identifikation mit der Nation ist vor allem deutschen Feministinnen fremd. „Aber wir müssen diese Suche nach einer nationalen Identität akzeptieren“, sagte eine Teilnehmerin.

Wie unterschiedlich das Verständnis von Nationalismus ist, zeigte sich auch auf der Tagung. Während westeuropäische Feministinnen damit vor allem eine aggressive Politik gegenüber Minderheiten verbinden, steht für die Osteuropärinnen die Idee der Selbstbestimmung und des Widerstandes gegen Unterdrückung im Vordergrund. „Der Nationalismus in einem Staat, der schon lange existiert, ist nicht vergleichbar mit dem Nationalismus in Ländern, die sich gerade erst als Nationalstaat bilden“, sagte Vlasta Jalušić aus Slowenien. Darüber, ob Feminismus und Nationalismus miteinander vereinbar sind, waren die Ansichten geteilt. „Wenn Feminismus nationalistisch ist, dann ist er schlecht“, meinte eine tschechische Teilnehmerin. Und auch die frühere Prager Dissidentin Jiřina Šiklová stellte klar: „Wir sind nicht nur Opfer, wir sind auch Täterinnen. Wenn wir uns als Feministinnen anders orientieren wollen, dann dürfen wir uns nicht an den Männern und ihrem Nationalismus orientieren.“

Daß die Teilung eines Landes nicht zwangsläufig zum Bruch zwischen den Feministinnen führen muß, zeigt das tschechoslowakische Beispiel. Im Vorfeld der Tagung schrieben Feministinnen aus Bratislava den Schwestern in Prag: „Wenn schon die Männer unser Land zugrunde richten, heißt das nicht, daß wir das in unserer Zusammenarbeit fortsetzen müssen.“ Wie wichtig es sei, nach der Trennung in zwei Staaten weiter miteinander in Verbindung zu bleiben, wurde auch auf der Tagung in mehreren Beiträgen betont.