In Angola bleibt die Waffenruhe zwischen den Regierungstruppen und den Unita-Rebellen fragil. Doch auch wenn sie hält: Wie kann das in Jahrzehnten des Bürgerkriegs zerstörte Land genesen? Jenseits der Gewalt stehen die politischen Gegner gemeinsam vor den Problemen des Wiederaufbaus. Von Bettina Gaus

Die Mühen des Friedens

Seit 17 Jahren lebt Maria de Graca da Oliveira vom Verkauf der Brote, die sie in zwei riesigen schwarzen Holzbacköfen hinter ihrem Haus in der angolanischen Hauptstadt Luanda bäckt. Für einen Sack Mehl muß sie seit der Freigabe der Preise 1990 im Geschäft dreimal soviel bezahlen wie in den 80er Jahren. Dennoch kosten ihre Brote noch dasselbe, und die Bäckerin behauptet, heute mehr als damals zu verdienen. Die Erklärung für den scheinbaren Widerspruch: „Früher hatten wir ständig Versorgungsprobleme. Es gab einfach nicht genügend Mehl.“ Solange das Grundnahrungsmittel noch staatlich subventioniert war, wanderten viele Säcke auf den Schwarzmarkt, dort mußte die Geschäftsfrau dann weit höhere Preisen zahlen als jetzt. „Heute sind die Läden voll, das Geschäft blüht“, meint die Bäckerin zufrieden.

Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung äußern viele in Luanda – ob sie bei den Wahlen im September nun die einstmals marxistische und heute sozialdemokratisch gewandelte MPLA-Regierung unterstützten oder die oppositionelle UNITA von Jonas Savimbi. Die Wirtschaftsprogramme der politischen Gegner unterscheiden sich eh kaum voneinander. Beide bauen auf Kredite der Weltbank, von denen die ersten bereits zur Umschuldung der mehr als acht Milliarden Dollar Auslandsverbindlichkeiten gingen.

Für die Bevölkerung bringt das Sparprogramm, das dafür die Voraussetzung ist, zusätzliche Probleme mit sich: Massenentlassungen stehen an. Die Lohnerhöhungen halten mit den Preissteigerungen nicht Schritt. „Viele Funktionäre stellen sich den Übergang zu leicht vor“, warnt Laurinda Hoygaard, Dekanin der ökonomischen Fakultät an der Universität von Luanda. „Es wird große Enttäuschungen geben.“

Aber immerhin gibt es eben jetzt auch erstmals Hoffnungen, die überhaupt enttäuscht werden können. Albino Mulango, der 1989 die erste nichtstaatliche Hilfsorganisation des Landes gegründet hat, hat vor einigen Wochen dem Staat ein kleines Einfamilienhaus aus der Kolonialzeit in der Innenstadt Luandas abgekauft. Umgerechnet hat es ihn bisher nicht einmal 10.000 Dollar gekostet – aber dafür besitzt er bislang auch nur eine Ruine mit Löchern in Wänden und Fußböden. Die Decke ist rissig, Tür- und Fensterrahmen splittern und brechen. „Die Renovierung wird ein Vielfaches des Kaufpreises kosten“, sagt Albino Mulango. „Aber wenn ich damit fertig bin, habe ich ein wirkliches Schmuckstück.“ Im Kopf ist alles schon perfekt geplant.

Es gehört ein gerüttelt Maß an Vorstellungskraft dazu, sich ein Schmuckstück in Luanda denken zu können. Zwar erinnern Reste kunstvoller Fassaden und breit angelegte Prachtstraßen an die vergangene Schönheit der Stadt am Atlantischen Ozean. Aber diese Zeugen der Vergangenheit lassen Verwahrlosung und Schmutz von heute nur noch stärker hervortreten. Luanda ist eine Müllkippe: Unrat übersät Straßen und Plätze, Kinder spielen auf riesigen Abfallhügeln. Dem beißenden Gestank, der wie eine Glocke über der Stadt hängt, läßt sich fast nur in geschlossenen Räumen entkommen. Höchstens 800.000 Einwohner könnte die Infrastruktur der Stadt verkraften – zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder leben heute in Luanda. Viele sind vor dem fast 17 Jahre währenden Bürgerkrieg hierher geflüchtet: ohne Einkommen, ohne Wohnung. „Hausbesetzungen“ gehören zum Alltag: Hochhäuser, die 1975 von ihren portugiesischen Besitzern aufgegeben worden sind, dienen Familien als Unterkunft. Aber sie haben keinen Mietvertrag. Niemand ist für Instandhaltung und Verwaltung zuständig. Die Wasserhähne bleiben trocken. Für ein Viertel der Bewohner Luandas ist die Wasserversorgung der Zugang zum Meerwasser.

Der Bürgerkrieg fordert seinen Tribut auch in der Hauptstadt. Obst und Gemüse kosten hier zehnmal soviel wie auf dem Land: Die Transportprobleme in Angola sind schier unüberwindlich, nachdem Straßen und Schienen Hauptangriffsziele der verfeindeten Parteien gewesen waren. Allein 3.000 Brücken wurden im Laufe des Konflikts zwischen der von der Sowjetunion und Kuba unterstützten MPLA und der mit den USA und Südafrika verbündeten UNITA zerstört.

Die Landwirtschaft liegt brach: es gibt heute nicht einmal mehr halb so viele Bauern in Angola wie 1970. Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben in Städten. Nur noch drei Prozent der zu Kolonialzeiten üblichen Kaffee-Ernte werden exportiert und nicht einmal ein Prozent der damaligen Ausfuhr an Baumwolle. Das fruchtbare Land, das früher Selbstversorger war, muß längst auch Grundnahrungsmittel importieren. Daß in Angola überhaupt noch etwas funktioniert, ist fast ausschließlich auf den Reichtum des Landes an Bodenschätzen wie Erdöl und Diamanten zurückzuführen. Mehr als 500.000 Barrel Öl werden täglich gefördert, sie erbringen 90 Prozent der Exporterlöse des Landes. Aber das große Geschäft blüht im verborgenen. Illegaler Handel mit Diamanten wird offiziellen Angaben zufolge jeden Monat in der gigantischen Höhe von 37 Millionen US-Dollar getätigt, und diese Zahl halten Wirtschaftsexperten in Luanda noch für untertrieben.

Läßt sich dieses Ausmaß an Chaos und Vernachlässigung wirklich allein mit dem Bürgerkrieg rechtfertigen? Der MPLA-Informationsminister Raúl de Carvalho meint, die Verschmutzung Luandas zeuge davon, daß sich niemand mehr für irgend etwas zuständig fühle: „Wir müssen zugeben, daß hier auch eine direkte Verantwortung der Regierung liegt.“ Ein anderer Angolaner wirft der Regierung weit konkreteres Fehlverhalten vor: „MPLA – das bedeutet Marxismus im Mund und Kapitalismus in der Hand.“ Korruption sei der einzige Wirtschaftszweig gewesen, der in der Vergangenheit in voller Blüte gestanden habe. Aber: In diesem Bereich habe sich in den letzten drei Jahren doch vieles gebessert.

Wie ja überhaupt vieles besser geworden sei in Angola. Nach dem Friedensschluß im letzten Jahr waren viele optimistisch. Und hat ein Mann wie Albino Mulango nicht Grund dazu? Als er 1989 die erste nichtstaatliche Hilfsorganisation mit 100.000 Mark von der Deutschen Welthungerhilfe gründete, mußte er Widerstände überwinden: „Wir haben Kabinettsmitglieder eingebunden, die der Idee aufgeschlossen gegenüberstanden.“ Der damalige Handelsminister, der Außenminister und der Justizminister gehören der Organisation an. Inzwischen arbeiten zahlreiche vergleichbare Hilfswerke in Angola, und das von Albino Mulango hat allein für sein größtes Projekt, die Lebensmittel- und Saatgutverteilung in der südlichen Kwanza- Region, umgerechnet vier Millionen Mark zur Verfügung.

Es geht aufwärts – wenn auch langsam. 15 Prozent Produktivitätssteigerung werden der Landwirtschaft in diesem Jahr vorausgesagt. Mit der Privatisierung der rund 5.000 Staatsbetriebe wurde begonnen. Doch nach wie vor gibt es große Hindernisse: „Wir haben Kapazitäten zur Produktion von Speiseöl, die bis zu 80 Prozent des Bedarfs decken könnten“, erklärt Abrahao Gourgel vom Industrieministerium. „Aber weil die Ersatzteile fehlen und der Nachschub an Rohstoffen nicht funktioniert, decken sie nur 20 bis 30 Prozent des Bedarfs – und das ist ein typisches Beispiel für Probleme, mit denen wir in allen Bereichen zu kämpfen haben.“ Die Märkte in Luanda legen davon Zeugnis ab: Wenige heimische Produkte wie Tomaten und Mais werden hier feilgeboten – und jede Menge Importwaren vom Wein über die Dosensuppe bis zum Haarshampoo.

Ausländische Investoren stehen Handelsbeziehungen mit Angola aufgeschlossen gegenüber, zumal das Land neben Erdöl und Diamanten auch noch über Eisenerz, Kupfer, Uran, Gold, Silber, Nickel und Phosphat verfügt. Südafrika zeigt Interesse, seit die MPLA-Regierung ihr Monopol an den Schürfrechten aufgegeben hat. Es wird heute in Luanda neben der einstigen Kolonialmacht Portugal als einer der wichtigsten Wirtschaftspartner der Zukunft gesehen. Fünf der größten südafrikanischen Bauunternehmer haben bereits mit Reparaturen am Straßennetz begonnen. „Insgesamt liegen derzeit Vorschläge ausländischer Investoren im Gesamtwert von drei Milliarden US-Dollar entscheidungsbereit vor“, berichtet Helder Azevedo, stellvertretender Direktor des Büros für Auslandsinvestitionen.

Jetzt steht es auf des Messers Schneide: Wenn die Kämpfe wieder aufflammen, hat das Kabinett im Blick auf ausländische Investoren wohl kaum noch etwas zu entscheiden. Und Albino Mulango muß auf die Renovierung seines Hauses wohl noch lange warten.