Kronzeugen-Experiment wird fortgesetzt

Bundesregierung will die Kronzeugenregelung um drei Jahre verlängern/ FDP überstimmt Parteifreundin Leutheusser-Schnarrenberger/ Bilanz der Regelung bisher ausgesprochen dürftig  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Vom Nutzen der Kronzeugenregelung ist zwar keiner recht überzeugt, das Ende des Jahres auslaufende Gesetz soll aber dennoch verlängert werden. Der Bundestag beriet gestern abend in erster Lesung eine von CDU/CSU und FDP eingebrachte Vorlage, mit der die Geltungsdauer des 1989 verabschiedeten Gesetzes bis Ende 1995 ausgeweitet werden soll. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die gegen eine Verlängerung votiert hatte, konnte sich zuvor auch in der eigenen Partei nicht durchsetzen – sowohl im innen- und rechtspolitischen Arbeitskreis als auch in der Fraktion wurde sie überstimmt.

Die Kronzeugenregelung wurde 1989 bewußt auf einen zweijährigen Zeitraum eingegrenzt. Beabsichtigt war, anschließend Bilanz zu ziehen. Überprüft werden sollte, ob sich die gesetzliche Ausnahmeregelung und die mit ihr verfolgte Zielsetzung bewährt hat. Im Kern zielte die Kronzeugenregelung auf einzelne aussagewillige Mitglieder in terroristischen Gruppen, die mit ihren Aussagen zur Aufklärung und Zerschlagung dieser Gruppen beitragen sollten. Im Gegenzug versprach der Gesetzgeber den Kronzeugen Strafnachlaß. Reumütige Terroristen, die zur Aufklärung schwerster Straftaten beitragen, können mit einer gesetzlichen Mindeststrafe von drei Jahren rechnen, selbst wenn sie des Mordes beschuldigt werden.

Die Bilanz fällt ausgesprochen mager aus: Zur aktuellen Aufklärung terroristischer Straftaten, beispielsweise der Roten Armee Fraktion (RAF), hat die Kronzeugenregelung nichts beigetragen. Und in den Fällen, in denen die Regelung bei den in der DDR festgenommenen RAF-Aussteigern angewendet wurde, mußte die Bundesregierung einräumen, daß dadurch lediglich Ereignisse aufgeklärt werden konnten, die über ein Jahrzehnt zurückliegen. Aufgrund der Aussagen der RAF-Aussteiger wurden von der Bundesanwaltschaft zwar insgesamt 22 Ermittlungsverfahren eingeleitet, allesamt beziehen sie sich aber auf einen Aufklärungszeitraum zwischen 1977 und 1981.

Die Bilanz führt auch eine richtige Bauchlandung auf, die die Bundesanwaltschaft im Fall des Kronzeugen Siegfried Nonne hinnehmen mußte. Nonne wurde vom Generalbundesanwalt Alexander von Stahl stolz als reumütiger Helfer der RAF beim Anschlag auf den Chef der Deutschen Bundesbank, Alfred Herrhausen, präsentiert. Er entpuppte sich anschließend aber nicht nur als früherer Kontaktmann des Verfassungsschutzes. Der vermeintliche Kronzeuge widerrief seine Aussagen und wegen seiner labilen psychischen Verfassung mußte er psychiatrisch behandelt werden.

Die Befürworter einer Fortführung der Kronzeugenregelung verweisen regelmäßig auf den Fall des früheren PKK-Funktionärs Ali Cetiner, der unter Anwendung der Kronzeugenregelung in Berlin zu einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde. Cetiners Angaben vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht haben nach einer schriftlichen Auskunft der Bundesregierung entscheidend dazu beigetragen, zahlreiche Straftaten, darunter dreizehn vollendete und drei versuchte Tötungsdelikte im Umfeld der PKK-Führung, in der Bundesrepublik aufzuklären. Dem steht allerdings gegenüber, daß sich Cetiner vor kurzem selbst belastet hat – der Falschaussage in Düsseldorf. Das Landgericht Berlin hatte Cetiner als glaubwürdigen Kronzeugen eingeschätzt, ihn aber auch als „schwach begabt und grenzdebil“ charakterisiert.

Die Bonner Regierung hält trotz der dürftigen Bilanz an der Kronzeugenregelung fest. Einerseits führt sie an, daß der Zeitraum von zwei Jahren zu kurz sei, um über Erfolg oder Mißerfolg zu urteilen. Zum anderen will sie sich die Möglichkeit offen halten, via Strafrabatt einzelne Personen aus terroristischen Kreisen herauszulösen. Im Visier diesmal: mögliche rechtsterroristische Gruppen.