„Zur Zeit bleibe ich hier“

Interview mit Alisa Fuss, Präsidentin der Liga für Menschenrechte/ Die 73jährige deutsche und israelische Bürgerin erhält das Bundesverdienstkreuz  ■ Von Igal Avidan

Am kommenden Mittwoch wird das Bundesverdienstkreuz am Bande an Ilse (Alisa) Fuss verliehen. Die 73jährige Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte in Berlin wird damit für ihr Eintreten gegen Ausländerfeindlichkeit und für Minderheiten sowie für ihre Aktivitäten während des Golfkrieges ausgezeichnet. Die gebürtige Berlinerin, die auch israelische Staatsbürgerin ist und dort über vierzig Jahre gelebt hat, hatte während des Golfkrieges die zeitweilige Aufnahme israelischer Kinder und Mütter organisiert. Mit der Initiative „Atempause“ trug sie dazu bei, daß das Bild von Deutschland besonders in Israel nicht nur von Waffenexporteuren und antiamerikanischen Friedensdemonstranten geprägt wurde. Alisa Fuss, deren Eltern und Bruder aus dem „Dritten Reich“ flüchteten, engagiert sich seit Jahren für Asylbewerber und war eine der ersten, die in Hoyerswerda und Sachsenhausen Mahnwachen und Demonstrationen organisierte. Die 73jährige, die nie ein Blatt vor den Mund nimmt, meint, daß erst der Mordanschlag in Mölln als eine Gefahr für die innere Sicherheit gewertet wurde, weil „bisher ging's ,nur‘ um Asylbewerber. Jetzt hingegen rechnete die deutsche Regierung damit, daß ihre Interessen in der Türkei gefährdet werden könnten“.

taz: Frau Fuss, haben Sie Angst vor Neonazis?

Alisa Fuss: Nein, ich habe keine. Ich versuche nicht, nachts alleine nach Hause zu gehen, und mein Name steht nicht im Telefonbuch. Dennoch bekomme ich telefonische Drohungen, an die ich mich inzwischen gewöhnt habe und die gegen mich als eine Jüdin und politische Aktivistin gerichtet sind. Derjenige, der wirklich etwas unternehmen will, der ruft vorher nicht an.

Sehen Sie in der letzten Welle von Gewalt auch eine neue Qualität?

Ich selbst sehe hier keine Wende. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß jetzt alle anderen Ausländer nur mit einem Messer auf die Straße gehen werden.

Was halten Sie von der Erklärung von Ralph Giordano, daß die Juden in Deutschland ihre Abwehr in die eigenen Hände nehmen werden, und zwar mit Waffen?

Das ist Unsinn. Ich selbst bin gegen Gewalt und werde auch keine Gewalt anwenden. Ich halte es für unmöglich, ein konsequenter Pazifist zu sein, aber Gegengewalt wird nur die Spirale der Gewalt hochdrehen. Ich werde werde weder eine Waffe noch ein Abwehr-Gas tragen.

Sehen Sie in Deutschland einen Rückfall in die dreißiger Jahre?

Der Geist von damals ist dem heutigen ähnlich. Der Unterschied liegt darin, daß damals der Terror von oben gekommen und zur offiziellen Regierungspolitik geworden ist. In diesem Jahr sind mehr Menschen ermordet worden als damals am Anfang. Trotzdem ist der Unterschied gewaltig, und es gibt bloß eine Hoffnung, daß dieser Terror gestoppt werden kann. Die Politiker unterstützen die Randalierer mit der Asyldebatte, und die Gerichte sind auf dem rechten Auge blind. Auch die SPD hat Angst vor der Volksstimme, aber damit wird sie ihre Seele verlieren. Die einzige positive Änderung sind die täglichen Demonstrationen, die eigentlich schon nach dem ersten Opfer hätten stattfinden sollen.

Gab es bei Ihnen auch Überlegungen, das Bundesverdienstkreuz nicht anzunehmen?

Ja, weil diesen Preis haben auch Menschen bekommen, mit denen ich nicht an einem Tisch sitzen will, entweder alte Nazis oder manche zum Beispiel aus den Kreisen der Industrie. Aber Freunde haben mich überzeugt, den Preis doch anzunehmen, besonders weil in letzter Zeit auch Menschen ausgezeichnet wurden, die ich schätze, und die ich nicht beleidigen wollte. Außerdem wird der Preis vom Bundespräsidenten und nicht von der Regierung verliehen. Falls eine Situation entstehen würde, wo ich mich einer Entscheidung der Bundesregierung sehr widersetze, dann könnte ich immer den Preis öffentlich zurückgeben und meine Position auch erklären. Als Trägerin des Bundesverdienstkreuzes hoffe ich, daß meine Erklärungen an Gewicht gewinnen, auch meine Kritik an der Bundesregierung.

Sie bekommen den Preis auch dafür, daß Sie Israelis eine zeitliche „Atempause“ in Berlin während des Golfkrieges ermöglichten. Bekommen Sie dann den Preis als Deutsche oder als Israeli?

Ich bin deutsche Staatsbürgerin, aber auch Israeli, weil ich zwei Pässe habe. Ich bin aber keine große Patriotin, und meine Nationalität spielt bei mir keine große Rolle. Ich bin mit Israel verbunden, denn dort habe ich 41 Jahre gelebt, aber zur Zeit lebe ich hier, und versuche hier Einfluß zu nehmen.

1933 wurde Ihr Vater als Jude beschimpft. Sie selbst haben 1935 die Schule verlassen, weil für Sie als Jüdin die Situation unerträglich geworden war. Zwei Jahre später sind Ihre Eltern und Ihr Bruder aus Deutschland mit falschen Papieren nach Südamerika emigriert.

Wir Juden haben damals genau dasselbe getan, was heute die Asylbewerber tun, nämlich falsche Dokumente besorgen, um verschlossene Grenzen zu überschreiten und erst ihre Kinder in einen sicheren Hafen zu schicken.

Und das versuchten Sie auch den Einwohnern von Hoyerswerda klarzumachen?

Wir sind dorthin gefahren, zuerst um Solidarität mit den Asylbewerbern zu zeigen, aber auch, um den Deutschen klarzumachen, daß sie diese Asylbewerber aufnehmen sollten und sie nicht als Feinde oder Konkurrenten betrachten. Wir haben uns auch mit der Polizei unterhalten, die uns versprochen hatte, das Heim zu schützen. Da wir etwa 400 Menschen waren, sind die Rechtsradikalen weggeblieben. Aber kurz nachdem wir den Ort verließen, ist auch die Polizei abgezogen. Hätten wir das gewußt, wären wir dort die ganze Nacht geblieben.

Aber später haben Sie regelmäßige Wachen vor Asylantenheimen organisiert und auch in Eberswalde und Rostock gegen Rassismus demonstriert.

Etwa 250 Menschen stehen regelmäßig vor Asylantenheimen in der Umgebung Berlins. In Eberswalde haben wir auch etwa 12.000 Mark für die Witwe und das Kind des ermordeten Angolaners Amadeu Antonio gesammelt.

In Sachsenhausen haben Sie eine spontane Demonstration mit etwa 350 Menschen organisiert, und zwar kurz vor dem jüdischen Neujahrsfest.

Die offizielle Jüdische Gemeinde ist erst viel später mit den Prominenten erschienen, obwohl wenige Mitglieder der Jüdischen Gemeinde auch bei uns waren.

Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen der Jüdischen Gruppe und der Jüdischen Gemeinde, in der Sie immer noch Mitglied sind?

In der Jüdischen Gruppe gibt es ein aktives Leben und Diskussionen, anders als in der Jüdischen Gemeinde. Wir haben schon 1986 unsere besondere Verantwortung als Juden gegenüber anderen Minderheiten wahrgenommen. Erst jetzt kommt ein anderer Ton von Herrn Bubis, den ich persönlich schätze.

Obwohl Sie bei der Aufführung des Fassbinder-Stücks 1985 anderer Meinung waren...

Ich bin immer noch der Meinung, daß Fassbinder kein Antisemit war und in „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nicht seine Meinung, sondern die eines Antisemiten darstellt. Man hätte die Aufführung damals nicht verhindern sollen.

Zwei Ihrer Söhne leben mit ihren Familien in Israel. Während des Golfkrieges haben sie Ihr Angebot abgelehnt, eine „Atempause“ in Berlin zu finden. Haben jetzt sie Ihnen ein ähnliches Angebot gemacht, im Hinblick auf die neonazistische Gewalt?

Ja, aber ich brauche noch keine solche „Atempause“. Ich habe Freunde hier, die mich unterstützen. Zur Zeit bleibe ich hier.