„Ein Tag Zwiebeln, ein Tag Honig“

Bis heute sind für die Beduinen im Sinai die Kamele das wichtigste Arbeitsmittel, zum Beispiel für die Safari-Touren im zunehmenden Tourismusgeschäft  ■ Von Karim El-Gawhary

Sein Leben in der Wüste? Rabia, der Beduinenführer, hat eine ebenso kurze wie philosophische Antwort: „Yom basal, yom asal – ein Tag Zwiebeln, ein Tag Honig.“ Heute sei ein süßlicher Tag, da er seit längerem wieder einmal ein paar Ausländer durch die Schluchten der Wadis, der ausgetrockneten Flußläufe, und über die Berge des Sinai führen kann.

Die etwas bizarre Karawane, die bleichen Touristen mit ihren Strohhüten, die Kamele mit ihrer fremdartig wirkenden Ladung an Rucksäcken und Plastikwasserflaschen – das alles gehört zu seinem beduinischen Alltag. Er lebt vom „Miete ein Kamel und heuere einen Beduinen an“-Geschäft.

Für einen Fremden ist die Wüstentour ein kleines Abenteuer. Wie Lawrence von Arabien – wenngleich die Stadt Aqaba im Rücken – hoch oben auf seinem Kamelsattel thronend, schaukeln wir eingefangen von der Stille der Wüste in einer kleinen Karawane langsam vom Roten Meer ins Innere der Halbinsel. Eine karge Landschaft, in der es seit über zwei Ramadanen nicht mehr geregnet hat. Rabia, zu deutsch „der Frühling“, schreitet voran.

Diese Touristen-Kamel-Safaris, von denen er und unsere anderen Begleiter heute vorwiegend ihren Lebensunterhalt bestreiten, sind eine neuere Erscheinung. Doch die romantische Vorstellung von dem umherziehenden beduinischen Nomaden im Sinai, der ausschließlich von seinen Schafen, Ziegen und Kamelen lebt, hat ohnehin nie gestimmt. Schon früh taten sich den Beduinen im Sinai andere Einnahmequellen auf. Zwei Dinge kamen ihnen dabei zugute: ihr Aufenthaltsort zwischen Afrika und Asien, das Durchgangsland Sinai, und der Besitz von Kamelen.

Manche beschreiben die Halbinsel Sinai als die erste interkontinentale Schnellstraße der Welt. Oft bereist, war sie nur selten das endgültige Ziel. Pharaonische Armeen und biblische Karawanen waren die ersten, die sie durchquerten; im 14. Jahrhundert, als sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Ägypten und Europa entwickelten, passierten christliche Pilger auf dem Weg ins Heilige Land die Wüste Sinai. Die Beduinen mit ihren Kenntnissen und ihren Kamelen waren für sie unentbehrlich, obgleich ein wenig suspekt. Einmal unterwegs, sollen die Beduinen nach Geschenken oder mehr Geld verlangt haben, und so mancher Pilger soll nie im „Heiligen Land“ angekommen sein, heißt es in alten Aufzeichnungen. Auch die muslimischen Pilger, die sich laut Koran mindestens einmal in ihrem Leben auf den Weg ins heilige Mekka machen sollen, waren auf die Beduinen angewiesen. Ihr Pilgerweg, der darb al-hajj, vom ägyptischen Suez zum jordanischen Aqaba, führte ebenfalls durch das Gebiet des Stammes der Tarabiyn, denen auch unsere Begleiter angehören.

Es waren die Kamele der Beduinen, die als einzige auf dieser Transitstraße aus Steinen und Sand zuverlässig ihren Dienst taten. Bis zu 40 Kilometer schafften sie an einem Tag, und fünf Tage können sie ohne einen Schluck Wasser in den extremsten Sommerhitzen ausharren. „Einen einmal gegangenen Weg und eine Wasserquelle vergißt ein Kamel nie wieder“, heißt es. Die Beduinen verehren ihr wichtigstes Arbeitsmittel, von dem bis heute im aufkommenden Tourismus ihr Leben abhängt. „Allah hat hundert Namen, den hundertsten kennt nur das Kamel“, sagen sie.

Der Wadi al-Milh, die Salzschlucht, die wir entlangreiten, wirkt stellenweise wie ein ausgelatschter Alpen-Wanderweg. Schon bald verliert sich der Traum von der Einsamkeit der Wüste. Überall sind die Abdrücke von festen Wander- und Turnschuhen zu erkennen. Von den Beduinen können sie kaum stammen. Sie alle tragen Schipp-Schipp, die Arme-Leute-Schuhe – Badeschlappen aus Plastik. Die Spuren anderer Safaris sind unübersehbar: Sonnencreme- Tuben made in Germany oder israelische Zigarettenschachteln.

Bei der Erwähnung Israels leuchten die Augen unserer Begleiter auf. Die Zeitrechnung der Beduinen im Sinai zählt die Tage vor und nach der israelischen Besetzung. Während die Israelis die städtische Bevölkerung aus dem nördlichen Sinai deportierte, begannen für die Beduinen goldene Zeiten. „Es gab mehr als genug Arbeit“, erinnert sich der älteste unserer Begleiter, Abdallah. Feste Siedlungen und eine Asphalt-Küstenstraße vom israelischen Elat bis nach Scharm El-Scheich an der südlichen Spitze der Halbinsel wurden gebaut. Der Tourismus entwickelte sich im großen Stil, und die Beduinen erhielten Ausbildungen als Ober, Bademeister oder Bauarbeiter. Manche von ihnen fuhren nach Israel zur Arbeit. Einige brachten es zu relativem Reichtum. Während in der Zeit vor der Besetzung nur zehn Beduinen eigene Autos besaßen, waren nach 1972 mehr als 300 Jeeps und Kleintransporter angemeldet.

„Es waren auch die Israelis, die mit den Safaris angefangen haben“, erzählt Freij, ein anderer unserer Führer, der fließend hebräisch spricht. Bis heute kommen die Israelis zu Hauf an den jüdischen Feiertagen zur nur wenige Stunden entfernten Ostküste Sinais. Zur Überraschung der Beduinen haben manche von ihnen nicht einen konventionellen Badeurlaub oder einen professionellen Tauchgang im Roten Meer im Sinn. In ihrem Gepäck finden sich oft Reiseführer mit detaillierten Beschreibungen des Naturerlebnisses Wüste. „Die wissen oft besser bescheid als wir“, wundert sich Freij noch heute. „Am Anfang konnten wir das kaum verstehen, was die hier wollten“, sagt er. „Sie wünschten an Stellen geführt zu werden, die für uns bisher kaum von Interesse waren.“ So kam Freij das erste Mal in den „Wadi der Farben“, eine der schönsten Stellen, die heute zu seinem festen Ausflugsprogramm gehört. Die Felsen schimmern in den unterschiedlichsten Rottönen, ein Gemisch aus Granit und Lava, das jedes Geologen-Herz schneller schlagen läßt. Wenn die langsamer verwitternden Steine schwarze Linien bilden, die oft den Skeletten gigantischer Fabelwesen gleichen, glaubt der Betrachter einer natürlichen Höhlenmalerei gegenüberzustehen. Diese trockene Schlucht hatte vor der Safari-Zeit für das tägliche Überleben der Beduinen, in dem nur das Wasser zählt, wenig Bedeutung.

Auf die Ägypter, die dann gemäß dem mit Israel geschlossenen Friedensvertrag 1982 wieder den Sinai bis zur Ostküste übernahmen, sind unsere Begleiter nicht allzu gut zu sprechen. Eine deutliche Trennungslinie läuft zwischen dem masriyn, den Ägyptern, und den arab, wie sie die Beduinen nennen. Vielleicht auch ein wenig historisch bedingt. Noch im letzten Jahrhundert verbreiteten die gelegentlichen Überfälle der Beduinen Angst und Schrecken bei den Niltalbewohnern. Die aufmüpfigen Beduinenstämme galten als eine der größten Herausforderungen für die sich herausbildende Zentralmacht in Kairo.

„Die Ägypter bringen nur alles durcheinander“, sagt Freij kurz. „Sie verstehen das Leben hier nicht und möchten alles kontrollieren.“ Während die israelischen Besatzer die Beduinen weitgehend in Ruhe ließen, solange sie nicht gegen die Besatzung aufbegehrten, waren die Beduinen mit der Übernahme durch die Ägypter wieder massiv mit der zentralen Bürokratie aus dem entfernten Kairo konfrontiert. „Mit den Ägyptern kam der Papierkram“, erzählt Rabia. Seitdem müssen alle Kamel-Safaris angemeldet werden – selbstverständlich nicht ohne eine kleine Gebühr. „Auch die Regierung in Kairo braucht etwas zu essen“, erklärt Freij sarkastisch.

„Ägypten ist eben im Gegensatz zu Israel ein armes Land. Warum soll es den Beduinen besser gehen als den Ägyptern im Niltal“, sagt Scharif, ein Ägypter aus Kairo, der an der Küste nördlich von Nuweiba ein Tourismusprojekt leitet. Die Regierung versuche das Gebiet zu entwickeln, aber ihre Mittel seien eben begrenzt, rechtfertigt er.

Jahrelang hat Kairo sein östliches Anhängsel vernachlässigt. Jetzt hat man den strategischen Wert der Halbinsel entdeckt und die Tatsache, daß dort Geld zu machen ist. Der Tourismus soll nach dem Vorbild der Israelis ausgebaut werden. Überschüssige Arbeitskräfte aus dem Niltal könnten auf der Halbinsel angesiedelt werden, träumt man. Fünf Millionen Menschen sollen sich hier bis zum Jahr 2000 neu niederlassen. Bis jetzt leben dort nach Angaben Abdul Monem Katouris, dem Leiter des Sinai-Entwicklungsamtes, nur 220.000 Menschen. Mehr als die Hälfte davon, 60 Prozent, seien Beduinen. „Den sandigen gelben Boden der Wüste mit Grün zu überziehen ist leichter, als die eigensinnige Lebensweise seiner Einwohner zu verändern“, schreibt eine ägyptische Zeitung. Ein gewisses Problembewußtsein ist inzwischen aber auch bei den ägyptischen Provinzbehörden vorhanden. Mit Sondergesetzen versuchen sie das komplizierte Verhältnis Regierung – Beduinen zu entschärfen. In der Provinz Nord- Sinai etwa regeln die Beduinen ihre Streitfälle nach ihrem eigenen ungeschriebenen Gewohnheitsrecht unter sich. Dafür wurden ei-

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gene Beduinengerichte geschaffen. Die Buchstaben der ägyptischen Gesetze haben hier keine Gültigkeit.

Doch Freij und unsere anderen Begleiter sind mißtrauisch. Sie sehen, daß sich die Küste vor allem im Tourismusbereich rasend schnell entwickelt. „Für die Beduinen bleibt nur das Ohr des gegrillten Hammels, der Rest gehört den Maklern, den Hotel- und Restaurantbesitzern an der Küste, und die sind meist Ägypter aus dem Niltal“, sagt Rabia abends am Lagerfeuer. „Wie die Zukunft aussieht, weiß nur Allah“, erklärt er. Doch viele Beduinen bleiben optimistisch, daß auch für sie mehr als ein Ohr abfällt. Was die Leute eigentlich in den Fünf-Sterne-Hotels suchten, fragte jüngst einer der Beduinenführer eine amerikanische Fotografin auf Safari-Tour. Sein Angebot einer Sterne-Nacht im Freien im Fünf-Millionen-Hotel der Wüste Sinai könnte niemals überboten werden.

Auch wenn das Bild des alten Abdallah vom Beduinen, der nur dort zu Hause ist, wo sein Lagerfeuer flackert, nicht mehr völlig stimmt, die Lebensweise der Beduinen ist bis zum heutigen Tag etwas Besonderes geblieben. Es ist eine Mischung aus Verbundenheit zu ihrer eigenen unbegrenzten Umgebung und einer Mißachtung der Außenwelt. Mehr als 30 Namen haben sie, um die Wadis und Berge um sie herum zu unterscheiden. Einige der Akazien in der Wüste nennen sie azaar, antike Denkmäler, wie andere römische Amphitheater oder pharaonische Tempel. Es gibt Ethnologen, die sagen, daß sich die moderne Welt das Umweltbewußtsein der Beduinen zum Vorbild nehmen solle. Im kargen ökologischen Gleichgewicht der Wüste zählt jede Pflanze. Kameldung oder herumliegendes Holz sind das einzige Brennmaterial, das unsere Begleiter zum Kochen des mit Pfefferminze gewürzten Tees oder zum Backen ihrer Fladenbrote benutzen. Allah, sagen die Beduinen, hat im Koran das Schneiden grüner Zweige verboten. Wer nach einer solchen Stelle im Koran nachschlägt, der wird verzweifelt suchen. Ein Beispiel, wie sich die Beduinen ihr eigenes religiöses Dogma schaffen und an ihr tägliches Leben anpassen.

Andere Dinge stoßen dagegen auf Desinteresse. Atya, der Sohn Rabias, weiß weder genau, wie alt er ist, noch besitzt er irgendeine Art von Dokument, wie etwa einen Personalausweis. Warum auch? Wie alle anderen unserer Begleiter ist er noch nie aus dem Sinai herausgekommen. Was sollen wir dort machen, fragt er. „Kairo ist weit, und die Touristen bringen schließlich die Welt zu uns.“