■ Ökolumne
: Müll und Religion Von Ulli Kulke

Vor Ort ist der Widerstand gesichert. Schnell haben Aktivisten ihre Bataillone zusammen, wenn es darum geht, hier oder dort den Neubau einer Müllverbrennungsanlage zu verhindern. Sie konnten so manche Planungen im Keime ersticken. Kein Wunder: Nur 15 Prozent der Deutschen, das ergab eine Umfrage der Zeitschrift natur, würden einen Abfallofen in ihrer Nachbarschaft hinnehmen. Und wenn auf Bürgerversammlungen solche Anlagen in Zusammenhang mit Holocaust gbracht und Fotos mißgebildeter Kinder gezeigt werden, dann packen die Planer resigniert ihre Unterlagen ein und gehen unverrichteter Dinge heim.

Müllverbrennung – ein umweltpolitisches Reizthema, das in seiner Brisanz der Atomkraft nahekommt. Trefflich lassen sich mit dem lokalen Volkswiderstand im Rücken Partei- und Verbandsprogramme formulieren, in denen solche Teufelstechnologie zur Müllbeseitigung rundweg abgelehnt wird. Eignet sich doch auch der Müll für die Kritik an der Wachstumsgesellschaft insgesamt: als ihr Symbol, als ihr schmutziges Exkrement. Da lassen sich phantastische Berge aus stinkendem Abfall an die Wand malen, die uns bevorstehen; und die nur durch Müllvermeidung in einer ökologischen Kreislaufwirtschaft zu vermeiden wären.

Das Problem: Wir leben bereits inmitten dieser Gebirgslandschaften. Die Litanei vom Abfallvermeiden hat das Wachstum der Müllberge nicht verhindern können. Die Deponiekapazität ist in einer Reihe vor allem süddeutscher Städte bei null angelangt. Lange hat uns das kaum gejuckt, weil Kolonnen von Lkw das Problem in französische Müllöfen verdrängten. Einzig die französischen Umweltschützer wurde zunehmend sauer auf ihre deutschen Kollegen, die stolz auf jeden verhinderten Müllofen im eigenen Land waren, sich aber wenig darum kümmerten, daß deutscher Abfall deshalb im Nachbarland mittels unverantwortlicher Technologie verbrannt werden mußte.

Jetzt hat Frankreich den Import gestoppt – und der Müllexporteur Deutschland schlägt die andere Richtung ein und beschickt Verbrennungsanlagen im Osten, uralte Dioxinschleudern, die weit vom saubersten Stand der Technik entfernt sind. Halb so wild – wir singen weiter das Hohelied der Müllvermeidung.

Hauptargument gegen die Müllverbrennung ist die Emission von Dioxin. Tatsache ist aber, daß in den letzten Jahren eine Verbrennungstechnologie entwickelt wurde, die den Dioxinausstoß auf einen Bruchteil dessen reduziert, der beim Kaminfeuer und sogar bei der schlichten Deponierung von Müll entsteht. Es kommt weniger Dioxin heraus, als der Müll zuvor enthalten hatte. Dies wird von erbitterten Gegnern der Verbrennungstechnologie sogar eingestanden. Erschüttern lassen sie sich in ihrer Ablehnung dennoch nicht. Sie setzen – neben der Vermeidung – ganz technikoptimistisch auf noch im Entwicklungsstadium befindliche kalte Alternativen, die zudem einen völlig indiskutablen Flächenbedarf mit sich bringen.

Müllverbrennungsanlagen mögen problematisch sein. Doch das ans Religiöse grenzende Tabu in der Umweltbewegung ist nicht mehr einzusehen angesichts etwa der Tatsache, daß von jedem der 1.000 Kieselrot-Sportplätze in Nordrhein-Westfalen soviel Dioxine und Furane abwehen, wie von zehn modernen Müllverbrennungsanlagen. Diese Rechnung macht ausgerechnet der Umweltstaatssekretär der Grünen in Bremen, Uwe Lahl, auf. Für ihn ist der Müll ein konkretes Problem und kein Instrument für den Stopp der Wachstumsgesellschaft am St. Nimmerleinstag.

Auch die Menschen im Lande scheinen langsam zu spüren, daß Plädoyers zur Müllvermeidung allein die Probleme nicht lösen. So ergab die zitierte Umfrage

auch, daß die Deutschen mehrheitlich für die Müllverbrennung eintreten, vorerst freilich nur, wenn sie nicht vor der eigenen Tür stattfindet. Das sensationellste Ergebnis der Umfrage: Sogar unter den Wählern der Grünen sind inzwischen 54 Prozent der Meinung, daß wir neue Müllverbrennungsanlagen brauchen – und zwar in Deutschland.

Der Autor ist Redakteur der Zeitschrift „natur“.