Ein Herz für Inder Von Ralf Sotscheck

Parlamentswahlen sind eine feine Sache. In Irland sind sie wie eine Sportveranstaltung aufgezogen, bei der selbstverständlich auch gewettet wird.

Das irische Wahlsystem ist vermutlich von einem Buchmacher erfunden worden. Anders als beim Pferderennen verliert man aber nicht den Einsatz (bzw. die Stimme), wenn man auf den Verlierer setzt. Die WählerInnen können nämlich auf dem Wahlzettel die Reihenfolge bestimmen, in der die Stimme dann auf die anderen KandidatInnen übertragen wird. Die Auszählung zieht sich daher über mehrere Tage hin, weil die Karten (bzw. Wahlzettel) immer wieder neu gemischt werden. Das Ergebnis der Wahlen vom letzten Mittwoch stand deshalb erst vorgestern fest.

Die Kameraleute beim irischen Fernsehen hatten also genügend Zeit, ihren Sadismus auszuleben. Sie verfolgten den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei Fine Gael auf Schritt und Tritt. Er heißt Bruton und ist so farblos, daß viele FernsehzuschauerInnen sich beim Sender über den Schwarz-Weiß-Empfang beschwerten. Bruton will Premierminister werden. Da hätte ihm das Wahlvolk jedoch fast einen Strich durch die Rechnung gemacht. Fine Gael verlor Sitz um Sitz, und Bruton mußte bis zum Schluß um sein eigenes Mandat bangen. Da jedoch die von ihm als Koalitionspartner hofierte Labour Party die Fine-Gael-Sitze einsammelte, kann Bruton sich noch Hoffnungen machen. Wenn da nicht die eigene Partei wäre. Austin Currie, der bereits die nordirischen Sozialdemokraten an den Rand des Abgrunds getrieben hatte, bevor er Fine Gael beitrat, machte noch im Wahlstudio den Vorschlag, Labour-Chef Dick Spring zum Premierminister zu ernennen. Schließlich sei er weit beliebter als der eigene graue Parteichef. Eine Handgranate im Fine-Gael- Hauptquartier hätte weniger Tohuwabohu verursacht. Bruton ging schnurstracks ins Fernsehstudio und brandmarkte Currie als Vatermörder und Verräter.

Die größte Sensation – zumindest für die Medien – war freilich die Wahl des Labour-Kandidaten Mossajee Bhamjee, eines in Südafrika geborenen indischen, sozialistischen, moslemischen Psychiaters, der in einem katholischen Krankenhaus arbeitet. Und das auch noch in der erzkonservativen Grafschaft Clare, wo zuletzt 1950 ein Labour-Abgeordneter gewählt wurde. Hinzu kommt, daß Bhamjee keine Ahnung vom irischen Nationalsport Hurling hat und erst seit zehn Jahren in Clare wohnt. Selbst Menschen, deren Vorfahren sich vor 200 Jahren in Clare angesiedelt haben, gelten dort noch immer als „Fremde“. So führt die Presse die skurrile Wahl auch nicht auf Bhamjees Leistung zurück, sondern auf die „Springflut“ (wegen der Beliebtheit Dick Springs. Gutes Wortspiel, gell?). Jedenfalls durfte Bhamjee minutenlang in die Kamera grinsen – nach dem Motto: Ein Herz für Inder. Was sind wir doch polyglott. Eine Pikanterie am Rande, die der Presse keineswegs entgangen ist: Bhamjees Frau Claire stammt ausgerechnet aus Cooraclare (Claire aus Cooraclare in der Grafschaft Clare – hahaha), dem Heimatdorf des bisherigen Staatsekretärs Brendan Daly, der seinen Sitz an Bhamjee verlor. Steckt da möglicherweise eine Moral in der Geschichte?