Erfolgreich mit dem Strom geschwommen

Südkoreas Staatschef steht vor dem Ende seiner fünfjährigen Amtszeit/ Roh Tae Woos „Nordpolitik“ verschaffte ihm internationales Ansehen/ Präsidentschaftswahlen am Freitag  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Wenn man Cho Soon Sung nach den Leistungen der südkoreanischen Regierung unter Staatschef Roh Tae Woo fragt, kommt stets die gleiche Antwort: „Im großen und ganzen eine Vier für den Präsidenten“, sagt der Oppositionspolitiker. Daß Roh in den Augen seiner Kritiker trotzdem so gut davonkommt, hat mit seiner erfolgreichen Staatsdiplomatie zu tun.

Kaum ein halbes Jahr im Amt, kündigte Roh die Aussöhnung mit den sozialistischen Staaten und dem kommunistischen Nordkorea an. Fortan sollte der Bruderstaat nicht mehr Feind, sondern Partner sein. Der Ex-General aus dem „Blauen Haus“ setzte ganz auf seine „Nordpolitik“ – eine koreanische Version der deutschen Ostpolitik. Doch erst der Zusammenbruch des kommunistischen Osteuropas brachte Roh auch den diplomatischen Durchbruch.

Ungarn und das heute zerrissene Jugoslawien waren die ersten, andere folgten. Alle Länder des Ostblocks in Europa unterhalten inzwischen diplomatische Beziehungen mit Seoul. Und das Wall Street Journal gerät richtig ins Schwärmen: „Präsident Roh hat sich weltweiten Respekt und einen heroischen Platz in der Geschichte des späten 20. Jahrhunderts verdient“, kommentierte das Blatt voller Euphorie.

Die Krönung kam dann im August diesen Jahres, als auch das mächtige China, der letzte enge Verbündete der stalinistischen Herrscher in Nordkorea, seine Beziehungen mit dem kapitalistischen Feind Südkorea normalisierte. Die Pekinger Regierung erkannte, daß sie die veränderte Machtbalance in Nordostasien – mit dem Zerfall des Sowjetreiches in Gang gesetzt – nicht länger ignorieren konnte. Und Seoul war nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ein ernst zu nehmender Partner geworden.

„Ohne Perestroika und die Wiedervereinigung auf deutschem Boden wären die außenpolitischen Erfolge Rohs kaum möglich gewesen“, sagt Oppositionspolitiker Cho. Doch der Präsident sei nicht gegen den Strom geschwommen, er hätte die Wiederaussöhnung zu seiner Politik gemacht und die Zeichen der weltweiten Entspannung erkannt.

Bewunderung und Schrecken

Kurz vor dem Ende der fünfjährigen Amtszeit Rohs steht Südkorea bündnispolitisch gefestigt und einflußreicher da als jemals zuvor. Der feindliche Bruderstaat im Norden, mit dem Seoul genau vor einem Jahr ein historisches Grundlagenabkommen über Entspannung und Wiederaussöhnung unterzeichnete, muß seine Freunde mit Süden teilen. Die sogenannte Überkreuz-Anerkennung der koreanischen Teilstaaten, lange Zeit diplomatisches Imperativ im Fernen Osten, ist längst passé – auch das ein Resultat des Endes der alten Ost-West-Feindschaft. Doch Südkorea möchte seinen Bruderstaat, der immer noch auf die Anerkennung durch Japan und die USA wartet, nicht völlig in die Isolation treiben lassen, wie Präsident und Regierung immer wieder beteuern. Das deutsche Beispiel hat in Seoul zwar Bewunderung ausgelöst, aber der Schrecken über die Konsequenzen sitzt tiefer.

Tatsächlich liegt dem reichen Süden einiges daran, Nordkorea wirtschaftlich zu stabilisieren – wenn da nicht die ungelöste Nuklearfrage wäre. Auf gegenseitige Atomkontrollen konnten sich beide Seiten bis heute nicht einigen.

Der innerkoreanische Dialog steckt in einer Sackgasse; Nordkorea droht gar mit einem Abbruch der Gespräche, weil Südkorea und die USA im Frühjahr wieder das in Pjöngjang so gehaßte Militärmanöver Team Spirit aufnehmen wollen. Der koreanische Aussöhnungsvertrag ist ein Dokument mit leeren Worthülsen geblieben. Praktisch hat Roh Tae Woo die beiden Teilstaaten in den vergangenen fünf Jahren keinen Schritt näherbringen können. Zehn Millionen Koreaner aus Nord und Süd warten immer noch auf den Tag, an dem sie nach 47 Jahren Trennung ihre Familienangehörigen im jeweils anderen Landesteil wiedersehen dürfen.

Das wird dem Staatschef freilich nicht angekreidet. Sie werfen dem „potongsaram“, dem Durchschnittsbürger, wie sich der Präsident gerne selbst bezeichnet, vor allem Versagen in der Innen– und Wirtschaftspolitik vor. Während rechtskonservative Kräfte aus Militär, Geheimdienst und Regierungspartei ihn wegen seiner Führungsschwäche nur noch Mul (Wasser) Tae Woo nennen, sagen Dissidenten, er habe nie seine Militäruniform richtig ablegen können.

„Während der sechsten Republik“, sagt Pfarrer Oh Yon Shik, „herschte immer ein Widerspruch zwischen Wort und Wirklichkeit.“ Daß es keine politischen Gefangenen in Südkorea geben soll, wie die Regierung behauptet, sei einfach lächerlich, meint der Pastor, der am Rande der Hauptstadt in einer Slumgemeinde arbeitet. Über 1.000 Personen, so Zahlen aus dem protestantischen Kirchenrat in Seoul, verbüßen wegen ihrer politischen Ansichten Haftstrafen.

Regierungskritiker schimpfen vor allem auf das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz, das alle Parteien im Demokratisierungselan von 1987 noch reformieren wollten. In einem offenen Brief an alle Präsidentschaftskandidaten forderte amnesty international im Dezember die Freilassung politischer Gefangener und Revision des antikommunistischen Sicherheitsgesetzes.

„Gegenüber früher hat es unter Roh Fortschritte in der Menschenrechtsfrage und der Demokratisierung gegen, trotz aller Unzulänglichkeiten“, meint der Oppositionsabgeordnete Cho dann aber doch. Ein anderes hoffnungsvolles Zeichen für mehr Demokratie im Lande sehen Bürgerrechtler in den zahlreichen Bürgerbewegungen, die unter der Roh-Administration entstanden sind. „Die Reformpolitik muß fortgesetzt werden“, meint Pfarrer Oh, „damit Veränderungen endlich auch an der Basis möglich werden und Früchte tragen.“