„Jürgen Sparwasser ist schuld!“

Von der Schwierigkeit, aus dem Sportverein Türkiyemspor einen multinationalen Klub zu machen  ■ Aus Berlin Heike Deutsch

„Heute ist es modern, sich über die Ausländerfeindlichkeit aufzuregen. Die Zeitungen sind voll davon. Und natürlich auch die B.Z. oder Bild – für die waren wir früher nur Kinderfänger und Messerstecher. Wenn es nicht so traurig wäre, müßte man drüber lachen.“ Bülent Gündogdu, Trainer von Türkiyemspor, lacht nicht mehr. Er erzählt deutsch-türkische Geschichten. Neue und alte. Für deutsche Ohren oft unglaublich und doch real. Alt ist die schon immer existente Ausländerfeindlichkeit und neu das plötzliche gesamtgesellschaftliche Interesse an der Lösung dieser Problematik.

Jeder möchte plötzlich ein Statement von Türkiyemspor. Bülent Gündogdu findet das unsinnig: „Sollen sie doch die Minister nach der Ausländerfeindlichkeit fragen und nicht uns.“ Doch auf politischer Ebene stehen Machtkämpfe und Profilierungssucht im Vordergrund. „Man sieht es ja: Asylbewerberheime werden laufend überfallen, eine Bank wird nur einmal ausgeraubt...“, sagt Gündogdu. Gehandelt wird nur, wenn international das Image Deutschlands Schaden nimmt.

Vergessen ist aber auch nicht, daß der türkische Staatschef Özal die „zweite Garnitur“ zur Beerdigung der Opfer des Möllner Brandanschlages schickte.

Seit den Siebzigern war „Klein- Istanbul“ rund um das Kottbuser Tor weitgehend in türkischer Hand. Der „Orientexpreß“, die U- Bahn-Linie 1, sicherte die Verbindung nach außen. Mit dem heutigen Abstand betrachtet, sicher auch eine Art der Abschiebung, denn Integration hat in Wirklichkeit nie stattgefunden. Probleme wurden weggeschoben, möglichst außer Sichtweite.

Hayri Er, Chef des Türkiyem- Fanclubs Kreuzberg, lebt seit 14 Jahren hier: „Wir haben woanders einfach keine Wohnung bekommen. So bist du immer wieder hier gelandet, ob du wolltest oder nicht. Nur waren die Begründungen dafür natürlich viel eleganter. Aber wenn man Hilfe braucht, entschuldigen sich staatliche Stellen noch heute mit der Ausrede, sie seien nur für Deutsche zuständig.“

Als 1978 Türkiyemspor (damals Izmirspor) gegründet wurde, sollten die Jungs nicht nur von der Straße, sondern auch die türkischen Fußballer, die bisher in deutschen Ligamannschaften oft auf der Bank saßen, eine Chance erhalten.

Innerhalb von vier Jahren gelang der Durchmarsch von der C- Klasse bis zur Oberliga. Selbst Schiedsrichtern war das nicht geheuer, so daß auf dem Rasen des öfteren für Trainer, Fußballer und Fans gleichermaßen eigenartig entschieden wurde. Trainer Gündogdu, nach zwanzigjähriger deutscher Erfahrung: „Da kann man nichts machen, nur ein Tor mehr schießen. Eben einfach besser sein.“ Eine Einstellung, die auch zum Überleben notwendig ist. Diese Lebensregeln sind immer zu beachten: „Schaff dir keine Feinde. Versuch, nicht anzuecken. Schluck runter. Versäum keine Fristen. Beachte Regeln und Satzungen. Beklag dich nicht. Sag vor allem niemals, das eine oder andere passiert uns nur, weil wir Türken sind.“

Über die Öffnung der Mauer haben sie sich gefreut, sagen sie, aber Befürchtungen gab es auch. „Eigentlich sind wir von der Mauer erschlagen worden. Mir wurde sofort klar: Jetzt haben sie die aus dem Osten zum Arbeiten, jetzt brauchen sie uns nicht mehr.“ Hayri Er hat sich schon immer für den Osten interessiert, schaute sich Spiele von Union und BFC Dynamo an. „Das war guter Fußball und nette Leute.“ Und das, obwohl ihm Jürgen Sparwasser einiges verdorben hat: Weltmeisterschaft 1974, Hamburg. Die DDR gewann 1:0 gegen die BRD. An jenem Abend war er bei den Eltern seiner damaligen Freundin zu Gast. Es gab das erste Bier, die erste Zigarette, alles war in Ordnung. Bis zur 71. Spielminute: „Ich weiß bis heute nicht warum, aber ich habe mich so über das Tor von Jürgen Sparwasser gefreut. Meine Schwiegereltern waren da anderer Meinung und haben mich rausgeschmissen.“

Multikulti bei Türkiyem

Heute gilt „Mein türkischer Sportverein“, wie Türkiyemspor übersetzt heißt, als multinational. Neben Türken spielen Deutsche, ein Grieche, ein Pole, ein Russe, ein Bosnier und ein Serbe mit. Für Trainer und Sportler ist das kein Problem, denn im Sport steht und fällt alles mit der Leistung. Der Trainer unterstützt die Entwicklung: „Wir wollen nicht denselben Fehler machen wie die Deutschen damals, wir müssen integrieren.“ Die türkischen Fans sind nicht alle dieser Meinung, man sieht es nämlich nicht gern, wenn Landsleute auf der Bank sitzen. Da haben sie ähnliche Probleme wie die Deutschen.

Von Querelen bei Auswärtsspielen, wie kürzlich in Cottbus, wollen sich die Spieler von Türkiyem nicht beeindrucken lassen. „Ausländer raus!“-Rufe, fliegende Steine und Randalierer gehören heute zur normalen Kulisse eines Türkiyem-Auswärtsspiels. Isolation der Spieler und ihrer Fans scheinen für die Veranstalter die einzige vertretbare Gegenmaßnahme zu sein. So war die Manschaft vor einem Jahr im Cottbuser „Stadion der Freundschaft“ fast zwei Stunden in den Kabinen eingeschlossen, weil draußen Randalierer ihr Unwesen trieben. Tormann Serkan Mese und Olaf Kapagiannidis meinen, man solle sich einfach nicht provozieren lassen, weder auf dem Spielfeld noch sonstwo. Spieler Thomas Herbst behauptet, ihn würde das alles nicht stören, er wäre ja kein Ausländer. Grundtenor ist, daß man warten wolle, die Leute würden schon wieder zur Besinnung kommen. Angst unterdrückt man am besten, wenn man sie sich nicht eingesteht. Fan-Chef Hayri Er will das nicht gelten lassen: „Wir sind doch alles Menschen. Das ist keine Lösung. Und dann diese ständigen Entschuldigungen, das geht noch so weit, daß sich ein türkischer Spieler für einen zertretenen Grashalm entschuldigt. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen, sondern dagegen ankämpfen.“ Wie, weiß auch er nicht.

Die Koffer sind im Keller

Veronika Miculcyk arbeitet im Büro von Türkiyemspor am Kottbuser Tor. Als ehemalige Sekretärin des Deutschen Fußballverbandes der DDR kann sie ihre Verbindungen und Erfahrungen nutzen. Mit dem Gesetzbuch auf den Lippen läßt sie sich nichts gefallen. Denn: „So wie man auftritt, wird man auch behandelt.“ Der Verein ist jedenfalls froh, eine „Deutsche“ auf diesem Posten zu haben. Auch auf dieser Ebene muß man sich zu wehren wissen, vor allem wenn man gesagt bekommt, man habe wohl die „Zweisprachigkeit“ vorgezogen oder daß man mit den „impulsiven“ Türken nicht so gut zurecht kommen werde.

Man sagt, früher stand bei jeder türkischen Familie der Koffer auf dem Kleiderschrank – jederzeit bereit, gepackt zu werden. Als Türkiyemspor gegründet wurde, verschwanden die Koffer – im Keller. Man war zu Hause. Heute spielt die dritte Generation im Katzbachstadion, in dem jedes Spiel einem Familientreffen gleicht. „Anders als bei Auswärtsspielen hört man hier ihre Fans, Ausländerhasser haben keine Chance. Die fühlen sich nur stark, wenn sie in der Mehrheit sind.“