Das Bild zur Palette

■ Ray Anderson, US-Posaunist, auf Festival in Bremen / Vier Projekte, ein Star / Ein taz-Gespräch

Ray Anderson ist der unangefochtene Star des zeitgenössischen Jazz-Posaunen-Spiels. Während andere Denkmalpflege betreiben und sich mit der etwas schwerfälligen Posaune an den halsbrecherischen Tempi des Bebop verrenken, schlägt Anderson den jazzgeschichtlichen Bogen von der Dixieland-Musik zur Free- Jazz-Szene. Andersen klingt posaunistischer, schmatzender, interessanter; er beherrscht den Spagat von der Tanzmusik zu den spröden Linien der Jazz-Avantgarde wie kaum ein anderer. Die Radio Bremen Jazz-Redaktion veranstaltet heute und morgen das Wishbone-Festival mit vier Anderson- Projekten — neben seinem Standard-Quartett sind alle weiteren Acts Weltpremieren.

taz: Sie sind Ende der 70er bekannt geworden als ein Posaunist, der eine sehr schwierige Musik spielt.

Ray Anderson: Ich stand damals sehr auf offene Sachen, auf das, was man Free Jazz nennt. Ich mag daran die Herausforderung, die ganze Musik machen zu müssen, nicht nur die Melodie über einer vorgegebenen Harmonie, sondern die Melodie und die Harmonie und dann auch noch den Rhythmus. Als ich Anfang der 70er nach NY kam, da gab es diese Loft-Szene. Da bin ich jeden Abend in einen anderen Loft gegangen. Das war eine tolle Szene, für ein paar Dollar konntest du da rein, und es war nicht so, daß du an einem Tisch zu sitzen hattest und soundso viele Drinks trinken mußtest. Dann gab es auch noch einige Clubs, wo es wirklich gute Musik gab. Die ganze Szene gibt es heute nicht mehr — schade.

Und wie kam es zu solchen Tanzmusik Exzessen wie den Slickphonics?

Ich mag es einfach, für Tänzer zu spielen. Sehr. Das fehlt mir in dem Jazz-Zusammenhang. Die Trennung zwischen Performer und Publikum ist viel weniger stark, es gibt mehr Beteiligung. Darum ging es auch bei den Slickaphonics, dieses Funk-Ding mit einzubeziehen, Musik für Tänzer zu spielen, aber eben auch die Freiheit zu haben, in der Improvisation die ganze Form auszudehnen.

Ihre jüngeren Aufnahmen entfernen sich von den ganz schrillen und den freien Tönen.

Mit zunehmendem Alter bin ich immer faszinierter von Harmonie. Ich bin immer noch faziniert von Monk, Duke, Mingus, von der Art, wie deren Musik funktioniert. Das möchte ich herauskriegen. Am Anfang deiner Karriere versuchst du zu finden, was du tun kannst. Wieviele Sounds kann ich machen? Auf wie viele Arten kann ich Posaune spielen? Wenn du älter wirst, geht es irgendwann darum, wie bringe ich das, was ich habe, auf den Punkt? Hier ist die Palette, welches Bild malen wir jetzt?

Wie hängt das damit zusammen, daß in den 80er Jahren der harmonisch gebundene Jazz einen Boom erlebt hat?

Ich finde, damit hängt das gar nicht zusammen. Dieser unglaubliche Konservatismus, der beispielsweise mit Wynton Marsalis hochkam und mit all diesen Leuten, damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Das ist nicht mein Ding. Das ist eine ganz restriktive, konservative Haltung, die bei denen dahinter steckt.

Sind Spaß und Ironie die Kriterien?

Als in den 60ern mit Coltrane eine ganz neue Tiefe in die Musik kam, war das für jüngere Musiker manchmal eine Falle. Die vergaßen, daß die Musik Spaß machen soll. Wenn es nach denen ginge, wären wir alle so: starr, hochgeschürt, mit Krawattenzwang. Damit will ich nichts zu tun haben. Das ist doch die Schönheit der Musik, daß sie auf allen Ebenen gleichzeitig wirkt. Fragen: step

Heute spielt Anderson mit dem „Sliphorn Quartett“ (Posaunenquartett) und der WDR Big Band; morgen das Ray-Anderson-Quartett und Andersons neue Funk-Combo „Alligatory Band“: alles in der Schauburg, 20 Uhr.