Überholspur als Medium

■ Es tönt, tönt, tönt auf der Autobahn: Deutschlandlied unter den Rädern

„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ tönt es aus der Autobahn. Oh Gott. Strahlt das negative deutschnationale Karma des kurzgeschorenen Escort-Fahrers auf der Überholspur schon auf mich ab? Weit gefehlt! Mein altes Fahrzeug und ich genießen die klingende Autobahn, ein „akustisches Denkmal“.

„Schon bald sollen die Herzen der Menschen höher schlagen“, wünscht sich Johannes Schenk, Pianist und Komponist aus Hürth bei Köln, in seinem Brief an Bundeskanzler Kohl. Doch weder der Pfälzer noch einzelne Länderministerien konnten sich bislang dazu durchringen, die Idee des jungen Komponisten zu unterstützen, mittels Rillen auf der Fahrbahn die ersten vier Takte des Deutschlandlieds erklingen zu lassen. Traumstandort des Erfinders: die ehemaligen Grenzübergänge zwischen Ost und West.

Aus der nationalen Ecke stammt Johannes Schenk nach eigenen Aussagen nicht. „Zunächst einmal hat mich die technische Seite interessiert“, bekennt er. „Dann habe ich mir überlegt, daß die deutsche Vereinigung mit all ihren bisher ungelösten Problemen einen guten Anlaß bieten könnte.“ Bei einem Tempo von 100 Stundenkilometern, so rechnet Schenk, benötigt man für die ersten vier Takte eine Strecke von 240 Meter Länge. Die Rillen sollen entweder mittels Kunststoffmatten in eine weiche Asphaltdecke gepreßt oder wie Fahrbahnmarkierungen appliziert werden. Tonhöhen und -längen entstehen ausgehend von der Berechnung, daß für den Kammerton „a“ als Viertelnote bei 100 Stundenkilometern 440 Rillen auf einer Länge von 28 Metern benötigt werden.

So begeistert ist der Musiker von der Idee, die Autobahn zu einem neuen Medium zu machen, daß er quer durch die Republik nach Sponsoren fahndet, um seine erste Fahrbahn zum Leben erwecken zu können. Doch auf offizieller Seite hält man sich bedeckt. Das hessische Verkehrsministerium warnt davor, „nationale Symbole überzubewerten“. In Schleswig- Holstein meint man, die Musik können die Aufmerksamkeit am Steuer beeinträchtigen; außerdem würde hier die musikalische Finesse der Hymne überschätzt. Der Künstler solle lieber „abseits vom großen Verkehr“ üben: mit dem „Jäger aus Kurpfalz“.

Interessiert zeigten sich bisher eine Straßenbaufirma, die vor nichts zurückschreckende Frau Schreinemakers und eine Auto- Zeitschrift, die eine Teststrecke zur Verfügung stellen will. „Das ist neue deutsche reale Kunst“, meint Schenk, „ein nichtelitäres Objekt für jedermann.“ Anne-Béatrice Clasmann