Heimat für Dissidenten

■ Gestern feierte der Jüdische Kulturverein seinen dritten Geburtstag / Attraktiv für Emigranten aus der GUS

Berlin. Der Jüdische Kulturverein Berlin feierte gestern sein dreijähriges Bestehen. Nach der jüdischen Tradition ist der dritte Geburtstag ein Zeichen für Stabilität, schrieb aus Jerusalem der Rabbiner Zwi Weinman, der den Kulturverein gelegentlich betreut. Und in der jüdischen Tradition würde die Zahl drei eine wichtige Rolle spielen. Dem Knaben werden an seinem dritten Geburtstag zum ersten Mal die Haare geschnitten und als Zeichen, daß er kein Baby mehr ist, mit einer Kippa (Kopfbedeckung) beschenkt.

Der Verein wurde noch zu DDR-Zeiten vor allem für die Interessierten gegründet, die nicht Mitglieder der Gemeinde sein wollten oder konnten, da sie keine „koscheren“ Juden waren. Diese Vergangenheit prägt immer noch die Identität des Vereins. Die Mehrheit der heute etwa 600 Mitglieder und auch ein Großteil der Prominenten, die dort bisher aufgetreten sind, sind nicht „koscher“ und kommen aus Ostberlin, wie etwa Gregor Gysi oder Marcus Wolf. Andererseits, meint die Organisatorin Irene Runge, würde die DDR-Vergangenheit im Kulturverein offen diskutiert, „denn wir befinden uns hier doch nicht unter Feinden“. Vorstandsmitglied Cornelia Dieckmann glaubt, daß für viele DDRler der Kulturverein auch „ein Stück Nostalgie und Heimat“ bedeute. „Mitglieder“, sagt sie, „die früher überzeugte Kommunisten waren, greifen jetzt zurück auf ihre jüdischen Wurzeln.“

Die Wende für den Kulturverein fand nicht beim Fall der Mauer, sondern nach dem Tod von Heinz Galinski statt. Er leitete 40 Jahre lang die Westberliner Gemeinde und wollte mit dem Kulturverein nichts zu tun haben. „Wenn man früher bei der Gemeinde nach unserer Telefonnummer fragte, bekam man die Antwort, daß es uns nicht gebe“, sagt Irene Runge. „Jetzt verbessern sich die Kontakte täglich.“ Auch der Generalsekretär der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, der schon Vorträge beim Kulturverein gehalten hat, spricht von einer Normalisierung der Beziehungen.

Attraktiv, sagt Cornelia Dieckmann, sei der Kulturverein vor allem für jüdische Neueinwanderer aus der GUS. Denn er biete Deutschunterricht an und veranstalte einmal pro Woche einen russischen Abend. Auch gestern bei der Geburtstagsfeier hörte man viel Russisch. Klaus Pritzkuleit, der Ausländerreferent der EKD für Ostdeutschland, erklärt die Attraktivität des Kulturvereins mit dem „familiären Charakter“. Er wirke heimlig wie eine „Großfamilie“. Auch manche Westberliner kommen deswegen her, meint Dieckmann. Denn „in einer großen Gemeinde fühlen sich viele verloren und allein“. Igal Avidan