"Heute abend um neun Uhr werde ich hingerichtet"

■ Am 12. Februar 1943 starb die französische Widerstandskämpferin France Serazin in der Todeszelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses / Mit ihrer Deportation von Paris nach Deutschland..

in der Todeszelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses / Mit

ihrer Deportation von Paris nach Deutschland wollten die Nazis alle Spuren beseitigen / Hamburger Dokumentarfilm wird in Poitiers uraufgeführt

Am Abend des 12. Februar 1943 wurde im Hamburger Untersuchungsgefängnis in der Holstenglacis eine junge Französin hingerichtet. „Um 21 Uhr enthauptet“, wie es in der „Vollzugsmeldung“ hieß, die die Hamburger Oberstaatsanwaltschaft später im Zentralstandesamt der Hansestadt erstattete. Der Name der jungen Frau, die zwei Wochen vor ihrem dreißigsten Geburtstag nach Hamburg gebracht worden war, um hier noch zwei Tage auf ihren Tod zu warten, war Francoise Sérazin, mit Mädchennamen hieß sie Bloch. Ihr Leichnam wurde noch am Abend der Hinrichtung und im Auftrag des anatomischen Instituts des Eppendorfer Universitätskrankenhauses in das Krematorium Ohlsdorf gebracht, die Urne auf dem Ohlsdorfer Friedhof vergraben.

Nun ist es eine schwierige Sache mit dem fünfzigsten Todestag eines

1Menschen. Gilt es doch Francoise - genannt France - Sérazin, wenige Wochen nach dem 60. Jahrestag der Machterübergabe an Hitler und wenige Tage nach dem 50. Jahrestag der Kapitulation deutscher Truppen in Stalingrad, als Jüdin, Antifaschistin und aktives Mitglied der Résistance herauszustellen – drei Gründe, warum sie verhaftet, deportiert und umgebracht wurde – und gleichzeitig einzuordnen in ihre eigene Geschichte, die ihrer Zeit, und darüber hinaus. Historische Jahrestage werden hierzulande ja, wenn es denn schon nichts zu feiern gibt, gerne neutraldeutsch „begangen“, als ginge es weniger darum, etwas zu bedenken, als eben Schauplätze zu beschreiten, Geschichte zurückzuerobern.

Die Asche von France Sérazin wurde 1950 exhumiert und auf dem Gelände des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof im Elsaß begesetzt.

1Mitgeholfen, die Spuren dieser Frau, die als sogenannter „Nacht- und Nebelhäftling“ ohne Akten und Papiere am 10. Februar 1943 in Hamburg eintraf, in dieser Stadt nicht ganz verwischen zu lassen, hat eine Frau namens Frieda Sommer. Sie arbeitete als Vollzugsbeamtin im Gefängnis an der Holstenglacis und hat zwei von drei Briefen „gerettet“, die France Sérazin in den Stunden vor ihrer Hinrichtung schreiben durfte. Und da Frieda Sommer wußte, daß die Briefe der „NN“-Häftlinge vernichtet wurden, hat sie sie abgeschrieben und die Abschriften aufbewahrt.

Ankunft als »Nacht- und Nebelhäftling«

„Mein Frédo“, schrieb France Sérazin heute vor fünfzig Jahren in der Hamburger Todeszelle an ihren Mann Fréderic, der zu diesem Zeitpunkt in einem französischen Internierungslager inhaftiert war, „dieser Brief ist der letzte, den Du von mir erhalten wirst. Heute abend um neun Uhr werde ich hingerichtet. (...) Du hast mir nur Glück gegeben, ich war stolz auf Dich, stolz auf unsere Vereinigung, stolz auf unseren so sehr geliebten Roland. Ich will keine Rührung aufkommen lassen. Frédo, Du wirst verstehen, ich darf es nicht! (...) Du weiß wie ich, daß ich nicht anders handeln konnte, als ich gehandelt habe. Man kann sich nicht ändern.“

»Das Schrecklichste ist, sich trennen zu müssen«

Die Kopie des Briefes, den France an ihre Eltern, den Schriftsteller Jean-Richard Bloch und seine Frau Marguerite schrieb, ging verloren. An ihre Freunde notierte sie: „Viele Kameraden werden Euch über das berichten, was unsere, was meine Gefangenschaft gewesen ist. Ich schreibe Euch nichts darüber, ich habe dazu kein Verlangen. (...) Ich sterbe ohne Furcht. Noch einmal: Das Schrecklichste ist, sich trennen zu müssen.“

Roland, der Sohn von France und Frédo Sérazin, war drei Jahre alt, als seine Mutter in Hamburg hingerichtet wurde. Frédo Sérazin erhielt den letzten Brief seiner Frau nicht mehr, er wurde 1944 von der französischen Miliz zu Tode gefoltert. Kennengelernt hatte sich das Paar über die Arbeit in der Kommunistischen Partei Frankreichs (P.C.F.), der France Bloch 1938 beigetreten war.

Im Februar 1940 wird Frédo Sérazin als Mitglied der mittlerweile verbotenen P.C.F verhaftet. Nach dem Einzug der deutschen Wehrmacht in Paris im Juni jenen Jahres und der Errichtung des Pétain-Regimes in Vichy beteiligt sich France an der Organisation des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Besatzung. In einem illegalen Labor in Paris baut die studierte Chemikerin, die vom Berufsverbot für Juden betroffen ist, Bomben für die Partisanengruppen.

Im Mai 1942 wird France Sérazin von der französischen Polizei verhaftet und am 30. September vom „Feldkriegsgericht des Kommandanten von Groß-Paris“ zum Tode verurteilt. In einer vom 28. Dezember datierten, von a bis x „durchnumerierten“ Liste findet sich neben dem Buchstaben t der Name von France Sérazin. Sie ist die einzige Frau in dieser Gruppe, die „wegen Feindbegünstigung u.s.w“ verurteilt wird.

Die Vollstreckung der Todesstrafen gegen sie und drei andere werde „bis zur Entscheidung der Gnadenfrage ausgesetzt“, heißt es in dem Papier. Zu diesem Zeitpunkt war France Sérazin bereits nach Deutschland deportiert worden, ins Frauengefängnis Lübeck- Lauerhof, der letzten Station vor Hamburg, Holstenglacis.

Die deutsche Widerstandskämpferin Gertrud Meyer war die erste, die in Hamburg die Spur von France Sérazin aufnahm. In dem 1974 erschienenen und inzwischen vergriffenen Buch Frauen gegen Hitler, das Gertrud Meyer zusammen mit der Hamburger Journalistin Gerda Zorn schrieb, läßt sie Frieda Sommer zu Wort kommen, die

1ehemalige Leiterin der Frauenabteilung im Hamburger UG.

Einige Jahre später reiste Hans Zorn, Ehemann von Gerda Zorn, als Delegierter der Vereinigung Verfolgter des Naziregimes (VVN) nach Marseille und kehrte mit einer in Frankreich erschienen Broschüre zurück, in der ehemalige Mitkämpferinnnen von France Sérazin ihre Erinnerungen aufgeschrieben hatte. 1986 erschien im Hamburger Konkret Literatur Verlag ein von Hans Zorn herausgegebener Band, der diese und weitere Beiträge vereint. Auf Initiative der Zorns wurde vor sechs Jahren eine Gedenktafel für France Sérazin an einer Mauer des Untersuchungsgefängnisses in den Wallanlagen angebracht.

Jetzt am Wochenende wird in der französischen Stadt Poitiers, in der France Sérazin Kindheit und Jugend verbrachte, ein Dokumentarfilm über Leben und Person dieser

1Frau uraufgeführt, den die Hamburger Produktionsfirma Lichtblick in der Regie von Loretta Walz produziert hat. Hans Zorn, der für das Zustandekommen dieses Films verantwortlich zeichnet, und für dieses Projekt eine Förderung aus Hamburger Mitteln erreichte, hat die Fertigstellung der Dokumentation nicht mehr erlebt.

Trotz aller Erinnerungen an France Sérazin, die seit vielen Jahren erforscht, erbracht und dokumentiert worden sind, stellt sich die Frage, was von ihr bleibt, wer sie war. Und wieviel Sinn es hat, an einen fünfzigsten Todestag zu erinner, ohne ihn „begehen“ zu wollen und zu können. Mechthild Bausch

Spezielle Literaturempfehlung: Hans Zorn (Hg.): „France Bloch-Sérazin. Lebenstationen einer französischen Widerstandskämpferin“, Konkret Literatur Verlag, Hamburg