Das „Goldene Kalb“ Atomkraft schlachten

■ Prozeß gegen sechs Mitglieder der Gundremminger Mahnwache begann gestern

Gundremmingen (taz) – Die Aktionen von sechs Mitgliedern der „Mahnwache Gundremmingen“, mit denen sich seit gestern ein erweitertes Schöffengericht in Günzburg im bayerischen Teil Schwabens beschäftigen muß, liegen Jahre zurück. Sie erregten bundesweit vor allem deswegen Aufsehen, weil hierbei im August 1990 erstmals das umstrittene bayerische Polizeiaufgabengesetz angewandt wurde. Demnach können Personen, von denen Störungen ausgehen könnten, vorsorglich verhaftet und in Polizeigewahrsam genommen werden.

Genau dies geschah auch, als vier der sechs Beklagten sich zum 45. Jahrestag der Atombombenabwürfe von Nagasaki und Hiroschima vor das Haupttor des größten deutschen AKWs Gundremmingen legten und tot stellten, um auf die tödlichen Gefahren der militärischen und zivilen Atomnutzung aufmerksam zu machen. Vier Tage und vier Nächte lang wollten die Männer und Frauen, vor dem Haupttor liegend, fasten. Doch die Polizei griff ein und steckte sie für eine Nacht in Ausnüchterungszellen. Als zahlreiche Medien darüber berichteten, veranlaßte das bayerische Innenministerium ihre Freilassung. Sie konnten weiterdemonstrieren, die Polizei brachte ihnen sogar ihre Transparente zurück.

Außer für Hausfriedensbruch müssen sich die Angeklagten auch wegen „gewaltsamer, verwerflicher Nötigung“ verantworten. Dreimal haben sie Atomtransporte mit abgebrannten Brennstäben zur französischen Wiederaufarbeitungsanlage nach La Hague blockiert. Doch die kirchlich motivierten Atomkraftgegner lehnen Gewalt ab. Sie führen seit 1989, dem 3. Jahrestag des GAU von Tschernobyl, ununterbrochen jeden Sonntag eine Mahnwache vor dem Atomkraftwerk durch.

Die Mitglieder der Mahnwache wollen nun erstmals seit den Ausstiegsszenarien der Stromindustrie in einem Gerichtsverfahren auf die Gefahren der Atomkraft aufmerksam machen. Dabei wollen sie durch Sachverständige untermauern, daß auch vom regulären AKW-Betrieb unverantwortbare Gefahren ausgehen. „Ziel der Mahnwache ist es, daß wir diese Gefahr loswerden“, sagte eine der Beklagten, die Hebamme Sigrid Birrenbach. Der ebenfalls angeklagte Schreiner Rolf Hiemer sprach von „dem Goldenen Kalb Atomkraft, das zwar einerseits Reichtum, andererseits aber auch den Tod bringt“, wie Tschernobyl zigtausendfach gezeigt habe. Der Prozeß war bis Redaktionsschluß noch nicht beendet. Klaus Wittmann