Die Krise mit Vornamen Auszehrung

■ Die Stadtbibliothek Bremen kämpft mit dem Mangel / Warten auf die integrierte EDV-Anlage

“Wenn wir die Einführung der EDV-Anlage stoppen, dann sind wir am Ende.“ Barbara Lison-Ziessow, seit 5 Monaten als Direktorin der Stadtbibliothek in Bremen, zeichnet ein nicht eben rosiges Zukunftsbild für ihre Stadtbibliothek. Die steckt nämlich in einer Krise, seit Jahren schon, in einer Krise mit Vornamen Auszehrung.

69 der damals über 200 Stellen für Fachpersonal sind in den Jahren 1980 bis 1987 eingespart worden, 19 davon im Vorgriff auf eine EDV-Anlage, die heute immer noch fehlt.

34 Außenstellen hat die Stadtbibliothek, Stadtteilbibliotheken, Gefängnis-oder Krankenhausbüchereien, einen Bücherbus, eine Musikbücherei und eine Graphothek. „Diese Bibliotheken, die sind in den 60er Jahren eingerichtet worden, und jetzt stehen die da. An dieser Dezentralisierung nagen wir heute.“ Barbara Lison-Ziessow drückt sich vorsichtig aus. „Wenn ich 34 Bibliotheken habe, muß ich auch die Mittel haben, sie aufrecht zu erhalten.“ Schon kämpferischer, aber die Mittel, die hat sie nicht.

Zunächst einmal fehlen die Stellen. Die Lücken, die durch die Streichungen der 80er Jahre gerissen wurden, sind deutlich zu spüren. Das probate Mittel, die Personalknappheit aufzufangen, sind Service-Einschränkungen auf den Gebieten Vorbestellung, Fernleihe, Buchaustausch zwischen einzelnen Büchereien, Kürzungen der Öffnungszeiten. Von den fünf Krankenhausbibliotheken sind zwei geschlossen worden, drei weitere können nur weitergeführt werden, weil die Krankenhäuser das Personal stellen. Insgesamt 22 freigestellte Lehrer sollen nach einem Konzept von Bildungs-und Kulturbehörde im Herbst d.J. den Betrieb in den Kinder-und Jugenbibliotheken übernehmen. Etliche der Stadtteilbibliotheken sind nur noch an zwei bis zweieinhalb Tagen in der Woche geöffnet, in den Schulferien wird selbstverständlich zugemacht, weil ja auch die BibliothekarInnen ab und zu einen Urlaubsanspruch haben. Selbst die Zentralbibliothek am Schüsselkorb ist in der Woche nur 36 Stunden geöffnet, so daß sie für Berufstätige kaum noch zu erreichen ist. Eine Bibliothek am Rande des Kollaps.

An Sachmitteln verfügen die 34 Einrichtungen zusammen beispielsweise über einen jährlichen Einrichtungsetat in Höhe von 25.000 Mark. Macht pro Filiale 730 Mark, oder in Naturalien, ein etwas besserer Bürostuhl. Das ist auf jeden Fall zu wenig, um die Büchereien attraktiv zu gestalten. Denn schon lange sind die Bibliotheken keine kargen Buchausleih-Institute mehr, die man schnellstmöglich wieder verläßt, sondern Orte, in denen man sich auch aufhält und beispielsweise Zeitschriften liest. Die weitergehende Vision der Direktorin sieht moderne Informationsvermittlungszentren vor, in denen eine Nutzerin schnell, zuverlässig und kompetent ihr Informationsbedürfnis befriedigen kann. In Bremen ist das noch ein weiter Weg.

Registriert haben den Mangel bisher besonders deutlich die Jugendlichen. Ihre Anzahl unter den NutzerInnen ist seit 1987 (13.724 von 69.288 NutzerInnen) kräftig gesunken (1991: 10.179 von 68.286). „Jemand, dessen Alltag Computer sind, der spricht der Bibliothek keine Kompetenz zu“, deutet Barbara Lison-Ziessow das deutliche Bröckeln des jugendlichen Interesses. Der Medienbereich der Stadtbibliothek steckt in den Anfängen, der Bestand ist nach wie vor kläglich. Während er in den Bibliotheken vergleichbarer Städte bereits großzügig ausgebaut wurde und bis zu 20 % des Gesamtbestandes ausmacht, stagniert der Bestand an elektronischen und AV-Medien in Bremen seit 1987 bei etwa 2 % des Gesamtbestandes.

Wobei auch dieser eher zurück geht. Etwa 280.000 Titel auf 1 Million Medieneinheiten, Büchern, Zeitschriften, Schallplatten, CDs, Ton-und Videocassetten führt die Stadtbibliothek in ihren Regalen, aber für viel mehr würde es an Platz fehlen. Für die Qualität der bibliothekarischen Versorgung interessanter als die nackte Medienanzahl wäre der Aktualitätsgrad der Medien, die Frage, wie hoch der Anteil veralteter Sachbücher ist und wie aktuell und schnell die Anpassung an neue Entwicklungen.

Alles besser machen soll die seit Jahren geplante EDV-Anlage, mittels derer nicht nur die Nutzer in jeder einzelnen Bibliothek den gesamten verfügbaren Bestand im Bereich der Stadtbibliothek komfortabel recherchieren können, sondern auch die gesamte Buch-und Ausleihverwaltung gestrafft wird. Wenn deren Ausbau wie geplant 1997 abgeschlossen ist, wird jede einzelne Filiale über ein angeschlossenes Terminal für den Dienstbetrieb verfügen und die meisten darüberhinaus über eines oder mehrere weitere, an denen die NutzerInnen arbeiten können.

Dann fängt ein neues Zeitalter auch in den Bremer Stadtbibliotheken an, ein überfälliges, wenn man die Worte der Bibliotheks- Direktorin ernst nimmt. „Die Ausleihe, die läuft wie 1910, bis auf die Zentralbibliothek, die läuft wie 1968.“ step