Die „Recontras“ und ihre Freunde

In Nicaragua verbünden sich rechte Politiker und Guerilleros im Kampf gegen die gemäßigte Politik von Präsidentin Chamorro/ Fünfhundert politische Morde in fünfzehn Monaten  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Der nicaraguanische Parlamentsabgeordnete Humberto Castilla ließ Comandante Nortiel über seine Position nicht im Zweifel: „Wir sind mehrere Parlamentarier, die euch nicht nur heimlich, sondern ganz offen unterstützen. Denn wir glauben, ihr seid die Rettung Nicaraguas, die einzige Option.“ Comandante Nortiel ist einer der brutalsten Anführer der sogenannten Recontras, wiederbewaffnete Contras, die im Norden Nicaraguas Hinterhalte aufbauen und Überfälle begehen. Wenn es nach dem Abgeordneten Castilla geht, wird bald auch Managua Kriegsschauplatz. „Ihr müßt auch in der Stadt aktiv werden. Es ist notwendig, daß der Kampf auch drinnen voranschreitet. Wir erwarten euch“, sagt er auf einem den Medien zugespielten Tonband.

Die Aufnahme des Gesprächs zwischen Castilla und Nortiel, das Mitte Februar irgendwo im Norden Nicaraguas stattfand, ist der Beweis, daß einzelne Politiker eng mit den rechtsgerichteten Aufständischen zusammenarbeiten. „Castilla sollte gar nicht Abgeordneter sein; der ist ein Guerillero“, meinte die nicaraguanische Staatschefin Violeta Chamorro, deren Absetzung in dem Tonband-Dialog vehement gefordert wird.

Doch Chamorros Position ist nicht nur durch die Attacken einzelner extremistischer Abgeordneter gefährdet. Am 9.Januar verlor die Regierungskoalition, die ihren Namen „Nationale Oppositionsunion“ (Uno) trotz des Wahlerfolgs vor drei Jahren nie abgelegt hatte, die Kontrolle über das Parlament. Damals wählte eine Koalition von Sandinisten und neun Abgeordneten der sogenannten Zentrumsgruppe, die die Regierungspolitik unterstützt, ein neues Parlamentsdirektorium. Die Uno, die ihre Kandidaten in vorangegangenen Verhandlungen nicht durchsetzen konnte, boykottierte die Sitzung und sabotiert seither die Parlamentsarbeit. Unmittelbar darauf erklärte sich die Allianz offiziell zur Opposition.

Schon vorher hatte sich die Uno gegen die von Violeta Chamorro und ihrem Präsidialminister Antonio Lacayo betriebene Stabilisierungspolitik gewandt, die Privatisierung und Marktwirtschaft mit den von den Sandinisten verteidigten sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen der Revolution kombiniert. Im Kabinett haben die Uno-Politiker keine wichtigen Posten, und seit sie das Parlament verloren haben, bleiben ihnen nur mehr die Gemeinden, die Agitation auf der Straße und die Intervention bei ausländischen Geldgebern als Plattform, um die „Verwirklichung des ursprünglichen Regierungsprogramms der Uno“ zu verlangen.

Das politische Klima in Nicaragua ist seither wieder so aufgeheizt wie zu Zeiten der Sandinisten, als die Opposition und die von den USA finanzierten Contras mit vereinten Kräften gegen das revolutionäre Regime kämpften. Die politische Konfrontation mündet immer wieder in Gewaltakten. Fast fünfhundert politisch motivierte Morde in fünfzehn Monaten hat das private Menschenrechtszentrum CENIDH dokumentiert. Contras und Sandinisten, Recontras, Militärs, Genossenschafter, Politiker und Polizisten erscheinen sowohl als Opfer als auch als Täter.

Die meisten Bluttaten ereignen sich auf dem Land. Aber auch in Managua wird die politische Gangart immer härter. Als Antonio Lacayo am 17. Februar die Präsidentin bei der Gedenkmesse für den 1991 von Profikillern ermordeten ehemaligen Contra-Chef Enrique Bermudez vertrat, wurde er von aufgebrachten Ex-Contras unter großem Geschrei aus der Kirche geworfen.

Lacayo, der Architekt des stillschweigenden Bündnisses mit den Sandinisten, das einen geordneten politischen Übergang und die für den Wirtschaftsaufschwung notwendige relative soziale Stabilität garantiert, ist für Nicaraguas Rechte der Feind Nummer eins. Zunächst wollte Rechnungshofspräsident Guillermo Potoy Lacayo in einen Korruptionsskandal des flüchtigen ehemaligen Vizepräsidialministers Antonio Ibarra verwickeln. Nachdem Potoy selbst seinen Hut nehmen mußte, wurde plötzlich Ibarra als Kronzeuge aufgebaut. Der Ex-Funktionär, gegen den ein Auslieferungsantrag wegen Unterschlagung von einer Million Dollar gestellt wurde, tauchte unvermutet in Bolivien auf und beschuldigte seinen ehemaligen Chef täglich neuer Missetaten. Der Schwiegersohn der Präsidentin soll nicht nur über eine aus Koka-Geldern gespeiste schwarze Kasse zur Bestechung von Funktionären und Parlamentariern verfügen, sondern auch den Mord an Bermudez angeordnet haben.

Ibarra wird wahrscheinlich nie in die Verlegenheit kommen, seine Anschuldigungen in Nicaragua beweisen zu müssen, da seine Freunde in den USA die Auslieferung verhindern werden. Eine Gruppe von Senatoren, die schon im Vorjahr die Auszahlung von 100 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe an Nicaragua verzögerte, will ihn benutzen, um Präsident Clinton gegen die nicaraguanische Regierung einzunehmen.

Clinton hat seine Nicaragua-Politik noch nicht definiert. Aber von Mexikos Staatschef Salinas de Gortari bekamen die Uno-Politiker einen klaren Dämpfer. Nicaraguas Demokratie müsse „um die international anerkannte Figur Violeta Chamorros konsolidiert werden“, sagte er bei einem Staatsbesuch am 12. Februar.

Auch in Europa dürften die Bemühungen der Uno um Sanktionen gegen die sogenannte Ko-Regierung Chamorros mit den Sandinisten wenig Erfolg haben. Weder Bonn noch Paris oder Rom wollen sich für eine Initiative hergeben, die die Ausschüttung von Wirtschaftshilfe an die Absetzung Lacayos knüpft. Selbst die Konrad- Adenauer-Stiftung, die in Nicaragua ein Dutzend dem harten Uno- Kreis nahestehende Organisationen finanziert, mißbilligt den Konfrontationskurs.