Die Wachstumsbranche

■ Steigende Erfolgsbilanzen und Image-Korrekturen in der Tourismusindustrie

Der Tourismus ist eine attraktive Industrie. Weltoffen, den Sonnenseiten des Lebens zugewandt, kommunikativ und modern. Für Urlaubsländer ist er ein florierender Devisenbringer und darüber hinaus eine saubere Alternative. Nicht nur daß der Tourismus per se umweltfreundlicher als viele verarbeitenden Industrien ist, zur Rohstoffsicherung gehört auch der aktive Umweltschutz, und der ist inzwischen geflügeltes Wort in der Branche, die sich vom 6. bis zum 11. März auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin geballt präsentierte.

Während bis voriges Jahr aufrechte Vorkämpfer eines „einsichtigen Tourismus“ die Fahnen für umwelt- und sozialverträgliches Reisen auf dieser Weltmesse hochhielten, sorgt sich nun die Branche an vorderster Front um den Schutz unserer Umwelt. Die Appelle der „AG Tourismus mit Einsicht“ wurden zur Kenntnis genommen, und die Kritik am naturzerstörenden Expansionsdrang dieser mobilen Industrie wurde mit Umweltverträglichkeitsauflagen entschärft: die Lufthansa fliegt mit den modernsten schadstoffarmen Motoren, die Veranstalter arbeiten mit naturbelassenen Materialien, die Kataloge sind aus Umweltpapier und die Animateure in Umwelt geschult. Den Kritikern fiel dazu nichts mehr ein. Konsequenterweise verschwanden sie vom Forum ITB, geblendet vom professionellen Machbarkeitswahn.

Denn das Umweltengagement — so erfreulich es ist — paßt hervorragend zum ohnehin anstehenden Modernisierungsprozeß dieser Wachstumsbranche. Umweltverbände und Naturschützer begleiten nun diese Innovation kritisch. Aus den Vorkämpfern von gestern wurden die Berater von heute. Die Kritik am naturzerstörenden Wachstumsdenken der Reisebranche endete in der Auftragsarbeit für die Chefetagen oder im gefälligen Dialog. Gegen den nichts einzuwenden ist, wenn die Kritik dabei nicht selbst im Machbarkeitswahn erstickt wäre. Während der Expansionsdrang ungerührt, aber gegrünt weitergeht, teilen die Kritiker nun das neu entdeckte Verantwortungsgefühl mit der Branche. Grundsätzliche Forderungen wie Verzicht und Eindämmung oder politische Auflagen bleiben vor lauter gemeinsamer Mitverantwortung außen vor. Um ökologische Forderungen umzusetzen, wird die ökonomische Kalkulation eines auf Profitmaximierung setzenden Konzerns gleich mitgetragen. So wird Kritik stromlinienförmig und angepaßt. Erschlagen von ökonomischen Notwendigkeiten. Der freie Blick auf andere oder gar eingeschränkte Formen des Reisens wird durch die Erfolgsbilanzen versperrt.

Und die sind beachtlich. Trotz allgemeinen Rezessionsgeheuls glänzt die Tourismusindustrie mit wirtschaftlichem Optimismus. 1992 gaben die vereinten Bundesbürger rund 58 Milliarden Mark für Auslandsreisen aus, für 1992 werden 61 Milliarden prognostiziert. Jede wirtschaftlich darniederliegende Region mit einem Restreiz setzt auf Freizeitindustrie: das lauschige Biotop, der schicke Club, der massenhafte Vergnügungspark, der Golfurlaub oder das ganzheitliche Erholungsprogramm – die Auswahl ist groß.

Groß ist auch die Nachfrage nach Experten und Managern. Kein Wunder, daß Fachhochschulen und Universitäten zunehmend Studiengänge für Tourismus anbieten. Die akademischen Anwärter auf touristische Karrieren waren auf der ITB im Wissenschaftszentrum erstmalig unter sich. Auch dort ist Umweltverträglichkeit und „ganzheitliche Tourismusforschung“ aus dem Lehrprogramm nicht wegzudenken. Betriebswirtschaftler, Psychologen, Soziologen, Sportlehrer, Geisteswissenschaftler und die passionierten dynamischen Weltenbummler braucht die Industrie für eine stimmige Urlaubswelt.

Im Tourismus werden unsere Bedürfnisse wie nirgendwo sonst ganzheitlich vernetzt: angeleitet von Soziologen, betreut von Psychologen, angeregt von Animateuren, entsorgt von Naturschützern und beschützt von einheimischer Polizei, dürfen wir in weltfremden Oasen uns selbst finden.

Der Tourismus qualifiziert und differenziert sich, wie es einer Wachstumsindustrie ansteht. Schon jetzt prophezeit der TUI- Vorstand die nächste Welle im Kundenverhalten: Die Wiederentdeckung des Stils. Sie werde eine Reaktion auf die überall stattgefundene Einebnung der Stile sein. Und auf einem ITB-Forum zum Thema „Tourismus und Völkerverständigung“ fand es der der Geschäftsführer der TUI-Tochter Robinson, Engels, ganz realistisch nach der Umweltverantwortlichkeit, nun auch soziale und kulturelle Verantwortung als Produktqualifizierung einzubauen. So wäre es durchaus vorstellbar, daß schon bald einheimische Professoren im kenianischen Robinson Club über Land und Leute berichten. Warum auch nicht. Einzig Einschränkung des Veranstalters Engels: derartige Qualifizierungsmaßnahmen können nur unter geringem Konkurrenzdruck verwirklicht werden.

Ein sanierter Wirtschaftszweig bietet viele anspruchsvolle Möglichkeiten. Während der Verbrauch an Landschaft, Natur und Kultur ungebremst weitergeht, können wir — bei anhaltender Reisekonjunktur — unsere Urlaubswünsche in Gütesiegel-garantierten umwelt- und sozialverträglichen Idyllen ausleben. Uns geht es gut. Edith Kresta