■ Jenseits von Asyl, Kriminalität und Fußball
: Stereotypen mit Tradition

Ghana ist weit weg. Überhaupt hat es mit Deutschland scheinbar recht wenig zu tun. Ganz selten taucht es in den hiesigen Schlagzeilen auf. Und dann meist nur, um aus reichlich paternalistischer Perspektive über die wirtschaftlichen Probleme des „IWF-Musterschülers“ oder den drohenden „Ausverkauf der ghanaischen Fußballer“ zu räsonieren.

Gleichzeitig haben äußerst zwiespältige Berichte von führenden deutschen Nachrichtenmagazinen kräftig daran gestrickt, daß das Medienbild von Ghanaern hierzulande vor allem aus Stereotypen besteht: von „schmarotzenden Wirtschaftsflüchtlingen“, „kriminellen Drogenhändlern“ und von „Aids verbreitenden Prostituierten“. Wen wundert es da noch, wenn in der Öffentlichkeit sogar der gewaltvolle Tod von ghanaischen Flüchtlingen kaum ernstzunehmende Beachtung findet. Der traurige Freitod von Kwaku Adjei in München Anfang dieses Jahres – als Resultat seines abgelehnten Asylbescheides – war den meisten Medien jedenfalls keine Zeile wert.

Der Gerechtigkeit halber muß jedoch gesagt werden, daß sich der bekannteste Repräsentant der ghanaischen Bevölkerung in Deutschland zur Zeit allgemeiner Beliebtheit erfreut: Die torgewaltige Präsenz des Weltklassefußballers Anthony Yeboah in deutschen Stadien hat selbst die ansonsten eher dumpf-nationalistischen Sportreporter dazu veranlaßt, die anhaltenden rassistischen Beschimpfungen gegen Schwarze wenigstens verbal zu verurteilen. Am Gesamtbild hat dies allerdings noch nichts geändert: Die Ermordung von Samuel Yeboah in Saarlouis im Herbst 1991, einem weit weniger bekannten Namensvetter und Landsmann des berühmten Ballkünstlers, blieb dementsprechend ohne großes Aufsehen. Er war ja auch kein bekannter Fußballer, sondern nur ein weiteres gesichtsloses Opfer rassistischer Brandanschläge in Deutschland.

Diese erschreckende Ignoranz gegenüber den Menschen und Staaten Afrikas kann dabei als Spiegelbild verdrängter historischer Bezugspunkte gelten. Zur Erinnerung: Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Ghana reichen weit zurück. Bereits im 17.Jahrhundert hatte der Gouverneur von Brandenburg und die „Kurfürstliche Afrikanisch-Brandenburgische Compagnie“ im ghanaischen Princes Town einen militärischen Stützpunkt namens „Groß Friedrichsburg“ errichten lassen. Diese im Jahre 1684 fertiggestellte Festung sollte zum Schutz des Gold- und Sklavenhandels dienen und erinnert noch heute – nunmehr als Ruine – an die unheilvollen Expansionsbemühungen der Preußen in Ghana.

Eurozentristische Selbstüberschätzung mit Tradition: Mitte des 19.Jahrhunderts machte sich die Bremer Kolonialmission auf, ein Gebiet des heutigen Ghanas auf die direkte Kolonialisierung „zivilisatorisch vorzubereiten“. Heute erinnert sich in Deutschland kaum jemand an diese frühen Kontakte zu Ghana. Im Gegenteil, die offizielle Bundesrepublik leugnet mit besonderer Vorliebe ihre koloniale Vergangenheit. Denn offensichtlich soll eine wirkliche Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Kontinuitäten verhindert werden. Rassistische Traditionen können so ungehindert weiterwuchern: juristische Altlasten im deutschen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz sowie diskriminierende Stereotypen über schwarze Menschen in Schulbüchern, Sprache und Medien.

Die fundamentale Bedeutung von rassistischen Ideologieelementen in der rechtsextremen Propaganda und in verbreiteten politischen Einstellungen der deutschen Bevölkerung muß endlich öffentlich eingestanden und analysiert werden. Dies erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit den vorhandenen kolonialen Kontinuitäten ebenso wie die Unterstützung einer positiven Selbstdarstellung von Schwarzen und Immigranten in Deutschland. Denn nur wenn Einwanderer in allen Gesellschaftsbereichen aktiv präsent und repräsentiert werden, lassen sich Vorurteile nachhaltig korrigieren.

Fest steht, daß auch Deutschland künftig einen wahrnehmbaren afrikanischen Bevölkerungsanteil haben wird. In diesem Sinne kommt den Ghanaern eine besondere Bedeutung zu, denn kein anderes afrikanisches Land hat so viele Landsleute mit ihrem Lebensmittelpunkt in Deutschland. In nahezu allen größeren Städten der alten Bundesländer gibt es mittlerweile ein gut ausgebautes Netz von ghanaischen Vereinen, Studentenorganisationen, Friseur- und Lebensmittelgeschäfte, ja selbst Kirchengemeinden. Die pulsierende ghanaische Musik- und Kulturszene gehört seit Jahren zu den lebendigsten in Deutschland. Import- und Exportgeschäfte und nach Ghana fließende Devisen sind für die ghanaische Wirtschaft zu einem bedeutenden Faktor geworden. Viele Ghanaer verstehen sich dabei bewußt als Lobbyisten für ihr Land.

Bei genauerer Betrachtung ist dieses entfernte Ghana dann vielleicht doch gar nicht so weit weg. Die steigende Zahl von hier geborenen Kindern ghanaischer oder deutsch-ghanaischer Familien wird sich jedenfalls – ebenso wie die Nachfahren der übrigen Immigranten – zukünftig ihren rechtmäßigen Platz in dieser Gesellschaft erobern müssen. Denn, wie heißt es so schön unter Schwarzen in England: „Wir sind hier, weil ihr dort wart.“ Nii Addy

Der Autor ist ghanaisch-deutscher Herkunft, Politologe, seit 22 Jahren in Berlin