„Strangers in Paradise“

Auf den Spuren des Moviegesindels und anderer Emigranten in Hollywood  ■ Von Peter Glaser

„Wir hatten Glück. Ein Verwandter aus Amerika nahm sich unser an, und so kam ich nach Hollywood“, erinnert sich Georg Kreisler, der mit seinen Eltern 1938 aus Wien flüchtete. „Dort teilte ich das Schicksal der meisten Emigranten: Sorge, Not, Einsamkeit, Verzweiflung und Hunger...“

Rückblende: „Nach langer Fahrt durch die verstreuten Vororte von Los Angeles“, schreibt Cecil B. DeMille in seiner Autobiographie, „ging es noch ein Stück über offenes Gelände, bis sie mich im verschlafenen Hollywood ablieferten, damit ich ihr Film-Laboratorium und das Studio in Augenschein nehme. Wir verließen die karg bebaute Durchgangsstraße, fuhren einen breiten, schattigen Weg hinunter, und da lag sie“ – eine der rückwärtigen Scheunen von Jacob Stern, einem im Ruhestand lebenden Händler.

Das war 1913, die Gegend um die heute geschäftige Kreuzung Hollywood Boulevard/Vine Street, als sich die Einwohnerschaft des Ortes innerhalb von vier Jahren auf 7.500 verdoppelt hatte. Lily Gish, Jungstar in jener Gründerzeit, schwärmte bei ihrer Ankunft: „Orangenblüten konnte man riechen, Rosen und Jasmin. So stellten wir uns das Paradies vor.“ Als Bert Brecht zwei Jahrzehnte später sein „Exil im Paradies“ antritt, behauptet er, in diesem Klima nicht atmen zu können und seine Gewohnheit, sich morgens aus dem Fenster zu beugen und die Luft einzuatmen, aufgegeben zu haben, weil die Luft in Kalifornien geruchlos sei.

„Spaziergänge durch das Hollywood der Emigranten“ ist der Titel eines originellen Reiseführers von Cornelius Schnauber. Mit diesem Buch aus der Feder des renommierten Literatur- und Filmgeschichtlers an der USC in Los Angeles ist ein überfälliges Desiderat vieler Kalifornienreisender eingelöst worden. Schnauber muß logischerweise die Ortsbezeichnung Hollywood als Begriff für „ein kulturelles Phänomen“ definieren, um seine Fahrten auf 11.000 Quadratkilometer des Los Angeles County ausdehnen zu können. Die im Titel angekündigten „Spaziergänge“ sind also metaphorisch zu verstehen.

Die von Schnauber getroffene Auswahl der exilgeschichtlichen landmarks ist umfangreich und hält sich nicht unbedingt an die Hierarchie der Emigranten-Kolonie: Der „Kaiser aller Emigranten“ muß mit demselben Platz wie sein Bruder Heinrich oder sein Antipode Brecht auskommen; von Vorteil für Größen wie Feuchtwanger, Lang und Schönberg. Noch mehr nehmen Schnaubers selbstbewußte Hervorhebungen für ihn ein, wenn es sich um Persönlichkeiten handelt, die hierzulande nur schattenhaft erinnert werden: die Kohner-Brüder, deren Kollegin im Bereich der bildenden Kunst, Galka Scheyer, oder der frühe Europa-Flüchtling R.M. Schindler. Wieso allerdings sogar häufig im Buch genannten Personen das Adressenporträt verwehrt bleibt, ist ziemlich unerfindlich: Wieso wird zum Beispiel die (1992 verstorbene) Victoria Wolff zwar besonders herausgestellt als eine der wenigen Schreibenden, die ihre neue Umgebung literarisch berücksichtigten, aber unbehaust gelassen. Solche Informationslücken passieren immer wieder, wenn persönlicher Kontext im Interesse des Lesers aufgehellt gehörte.

Ganz deutlich sind Schnaubers Schilderungen da am gelungensten, wo sie original sind, weil er Augen- und Ohrenzeuge sein durfte (Kohner, Lang, Reisch), oder auf passioniertem Quellenstudium basieren (Mann, Schönberg). Zu oft bleiben die Hausgeschichten allerdings blaß.

Die selbstverständliche lokale Vertrautheit hat dem Autor offenbar manche Bedenklichkeit getrübt. Ganz unerklärlich ist die Hartnäckigkeit, mit der die für Einheimische ansonsten als sine qua non geltende Telefoninformation bezüglich der wenigen für den Besucher überhaupt zugänglichen Stätten hintertrieben wird. Wer blauäugig den Schnauberschen Verlockungen gefolgt ist und, beträchtliche Distanzen überwindend, dann vor dem verschlossenen Schindler House oder dem verriegelten Hollywood Studio Museum steht, Adressen überhaupt nicht findet, weil sich der Autor in der Straße verguckt hat, der grollt als Angeschmierter.

Selbst der biblioman vorbelastete Spurensucher wird es kaum verhindern können, daß sich nach all den kleineren und größeren Odysseen das zu wenig flexibel gebundene Handbüchlein auflöst.

Schnauber schickt einen mit einer auch sehr anregend illustrierten Orientierungshilfe auf diese „Insel deutscher Kultur“, doch den Cicerone gibt er noch nicht ab für die Existenz der Vertriebenen, die letztlich „unbehaust“ blieben: „Man muß nur wissen, man hat niemals ein Zuhause und daß man niemals ein Zuhause haben wird...!“ (Georg Kreisler)

Cornelius Schnauber: „Spaziergänge durch das Hollywood der Emigranten“, Arche-Verlag, Zürich 1992, 32 DM