Blutige Woche im Gazastreifen

■ Chef der palästinensischen Verhandlungsdelegation entging nur knapp einem Attentat/ Ein Lehrer wurde tödlich in den Kopf getroffen/ Palästinenser machen israelische Truppen verantwortlich

taz (Tel Aviv) Der Chef der palästinensischen Verhandlungsdelegation Dr. Haidar Abdel Shafi überlebte am Donnerstag einen bewaffneten Angriff in Raffah (südlicher Gazastreifen), wo sich palästinensische Führer zu einem Kondolenzbesuch bei der Familie einer verstorbenen Fattah-Persönlichkeit versammelt hatten.

Nach Aussage der Palästinenser am Ort eröffneten israelische Soldaten aus einem Militär-Jeep das Feuer auf die Trauergäste. Ein Lehrer aus Raffah, der einige Meter entfernt von Palästinenservertreter Dr. Abdel Shafi stand, wurde bei dieser Gelegenheit tödlich in den Kopf geschossen.

Israelische Militärinstanzen behaupten, die Schüsse seien von palästinensischen Dissidenten aus den Reihen der Volksfront Guerilla „Roter Adler“ abgegeben worden. Dr. Abdel Schafi blieb dabei, daß es israelische Grenzschutz-Mitglieder waren, die den in UNRWA-Diensten stehenden Lehrer Jussuf Gharib (45) getötet haben.

Der Vorstand der Advokatenkammer in Gaza, auch Mitglied der palästinensischen Verhandlungsdelegation, Freih Abu Meidan, der ebenfalls Augenzeuge war, bestätigte diese Darstellung. Angeblich wurden 4 Schüsse abgegeben, die Dr. Abdel Schafi galten, aber „daneben gingen“.

Es kann allerdings als äußerst unwahrscheinlich gelten, daß der in allen palästinensischen Kreisen beliebte und respektierte Dr. Abdel Shafi als das Opfer eines palästinensischen Anschlages ausgewählt wurde. Auch die Umstände (Kondolenzbesuch bei einer Fattah-Familie) sprechen gegen die Darstellung der Ereignisse durch den israelischen Militärkommandanten.

Der Anschlag kam am Ende einer besonders blutigen Woche im südlichen Gazastreifen. Allein am Donnerstag wurden dort zwei Palästinenser von israelischen Truppen erschossen und mehr als 50 durch Schüsse verletzt. Vier der Verwundeten sind schwerverletzt.

Ins Nasser Spital in Khan Yunis wurden auch 10 verwundete Palästinenser aus dem Raffah Flüchtlingslager eingeliefert, wo das Militär seit mehr als zwei Wochen Ausgehverbot verhängt hat. Palästinensischen Quellen zufolge sind in den letzten drei Tagen mehr als 200 Palästinenser im südlichen Gazastreifen verletzt worden.

Militärsprecher geben an, daß die Gesamtzahl der verwundeten Palästinenser im südlichen Gazastreifen ungefähr 130 war und daß die meisten Palästinenser verletzt wurden, weil sie das Ausgehverbot mißachtet hatten. Aus palästinensischen Berichten geht hervor, daß die Bevölkerung gegen das lange Ausgehverbot auf den Straßen der Flüchtlingslager demonstrierte und dabei von Soldaten angegriffen wurde.

Blutige Konfrontationen zwischen unbewaffneten Palästinensern und den in der letzten Zeit verstärkten Besatzungstruppen gab es auch in Khan Yunis, wo die Bevölkerung Widerstand leistete, als israelische Streitkräfte neue permanente Beobachtungs-Stellungen auf Dächern von Wohnhäusern errichteten. Wie israelische Medien am Freitag berichten, hat der oberste Kommandant der Truppen im Gazastreifen den Offizieren und deren Truppen am Donnerstag unmißverständlich aufgetragen, „in allen Zweifelsfällen zuerst mal zu schießen“. Amos Wollin