■ Dokumentation der verabschiedeten Resolution des Grünen-Länderrats zur Situation im ehemaligen Jugoslawien
: „Eine harte Probe für uns“

Im ehemaligen Jugoslawien führen Serben, Kroaten und Muslime einen Krieg mit allen schrecklichen Realitäten, die wir aus Kriegen kennen. (...) Als bundesdeutsche Grüne haben wir die Konsequenz gezogen aus dem, was Krieg bedeutet – und gerade von Deutschen wurden in diesem Jahrhundert in Kriegen Grausamkeiten extremen Ausmaßes begangen. Daher ist eine antimilitaristische Friedenspolitik unter dem Stichwort „gewaltfrei“ eine Säule unseres Selbstverständnisses, welches im Assoziationsvertrag zwischen dem Bündnis 90 und den Grünen noch einmal festgeschrieben wurde.

Die Grausamkeiten (...) sind eine harte Probe für unser antimilitaristisches Selbstverständnis. (...) Viele von uns erinnern sich an Greueltaten aus der Zeit des deutschen Faschismus und fragen, ob nicht ein militärisches Eingreifen von außen (...) ein schnelles Ende des Leidens bringen könnte. (...)

In Bosnien droht kein Krieg, den es zu verhindern gilt. Die Situation grenzt an einen Völkermord. (...) „Ethnische Säuberung“ ist zum Stichwort dieser rassistischen Politik geworden, in der viele Elemente des Faschismus wiedererkennbar sind. Solche massenmörderische Gewaltausübung aber muß eingedämmt werden.

(...) Viele der Chancen zur Schlichtung des Konflikts, die wir eingefordert haben, wie das Unterlassen einer frühzeitigen Anerkennung neuer Staaten aus dem ehemaligen jugoslawischen Bundesstaat oder ein wirksames Embargo, sind bereits von der herrschenden Politik vertan worden. (...) Trotzdem sind wir überzeugt, daß die gepeinigten Menschen auf andere Weise gerettet werden können als durch militärische Intervention.

Der bereits im März 1992 bei den EG-Verhandlungen in Lissabon vorgelegte Friedensplan für Bosnien-Herzegowina unterschied sich vom aktuell in EG und UNO favorisierten nicht wesentlich. Wir sehen, daß dieser Plan viele Ungerechtigkeiten enthält, und wir begrüßen jede Veränderung in einem Friedensplan hin zu gerechteren Lösungen. (...) Wir stellen fest, daß die Hauptverantwortung an den Verbrechen und an der entstandenen Lage in Bosnien-Herzegowina bei der Führung in Serbien ebenso wie bei den serbischen Kriegsbeteiligten in Bosnien-Herzegowina liegen.

Wir meinen aber, daß als Voraussetzung für einen Frieden ein Plan notwendig ist, der möglichst bald zu einem Waffenstillstand führt. (...) Wir wenden uns gegen Versuche, die vor einem Waffenstillstand durch militärische Intervention vorgeblich gerechtere Ausgangssituationen schaffen wollen und dadurch zur Verlängerung des Krieges beitragen. (...)

Mittel- bis langfristig würde die Aufgabe bestehen, in einem Zustand der Abwesenheit militärischer Konfrontation mit friedlichen Mitteln nicht nur nichtkriegerische, sondern auch wieder gerechte Verhältnisse herzustellen. (...) Vor allem aber macht es wenig Sinn, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt nach militärischer Intervention zu rufen, wo die internationalen Bemühungen sich darauf richten, den Vance-Owen-Plan zum Gegenstand der Durchsetzung von Frieden zu machen. So ungerecht dieser Plan gegenüber den Bosniern auch ist, auf ihn hat sich die internationale Diplomatie z.Zt. verständigt. Als ein in Richtung auf die mißachteten Beschlüsse der vorhergegangenen Londoner Konferenz mit politisch-diplomatischen Mitteln korrigierbarer Vorfrieden könnte er die einzige z.Zt. erreichbare Rechtsgrundlage werden für einen Friedensprozeß in Bosnien.

Wir wenden uns dagegen, durch eine falsche Politik der Bundesregierung, die den Krieg mit eskaliert und die momentane Situation im ehemaligen Jugoslawien mitverschuldet hat, nun gedrängt zu werden, militärische Mittel zu relegitimieren. Wir sind nicht bereit, uns in die Logik einer von Großmachtinteressen mitbestimmten Politik der christliberalen Bundesregierung einbinden zu lassen und, nachdem alle unsere Vorschläge einer nichtmilitärischen Kriegsbeendigung ignoriert wurden, uns dann nur noch an „Letzte-Mittel- Diskussionen“ zu beteiligen.

Wer heute in Deutschland nach Militärinterventionen im ehemaligen Jugoslawien oder gar nach deutschen Soldaten und Waffen weltweit ruft, unterstützt nicht den dortigen Friedensprozeß, sondern Kräfte, die auf – sich wieder zunehmend militärisch formierende – Großmachtinteressen Deutschlands hinwirken wollen.

Daher fordern wir:

–Keine Militärintervention, da damit keines der Probleme dieser Region gelöst würde, das nicht auch auf anderem Wege gelöst werden kann, sondern vielmehr die Gefahr weiterer militärischer Eskalation im gesamten südosteuropäischen Raum droht;

–bei aller berechtigten Kritik an einzelnen Aspekten der in Genf bisher erzielten Vereinbarungen sprechen wir uns für die rasche und konsequente Umsetzung des Vance-Owens-Plans als Grundlage eines Friedensprozesses in Bosnien aus, der möglichst bald Krieg, Folter und Vergewaltigung als Voraussetzung für eine Friedenslösung beendet;

–ein konsequentes und mit nichtmilitärischen Mitteln durchgesetztes Embargo zur Unterbindung von Waffen-, Treib- und Rohstofflieferungen;

–einen Sanktionshilfefonds, aus dem (insb. Nachbar-)Staaten, die durch ein Embargo Schäden hinnehmen müssen, entschädigt werden;

–zu Menschen, die von mörderischen Banden dem Verhungern überantwortet werden, müssen Lebensmitteltransporte durchgebracht werden;

–Hunger- und Ausrottungslager müssen aufgelöst werden;

–für alle im ehemaligen Jugoslawien verfolgten, in Lagern und Enklaven verhungernden und auf der Flucht befindlichen Menschen sollten in den Nachbarländern Kroatien, Ungarn, Österreich und Deutschland weitere Flüchtlingslager errichtet werden, die der Regie einer nach dem Vorbild der UNWRA gebildeten UN-Agentur anvertraut werden. Deutschland und die Länder der EG sollten vornehmlich die Unterhaltskosten übernehmen;

–die Einrichtung und Unterstützung von Medien, die gegen die jeweils einseitig verzerrte Informationspolitik der Kriegsgegner den Menschen im ehemaligen Jugoslawien Zugang zu allen Informationen und Meinungen ermöglicht;

von der Bundesregierung,

daß sie selbsttätig Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufnimmt, insbesondere Menschen aus den Kampfgebieten und den Lagern, und ihnen für die Dauer der Kampfhandlungen ein Bleiberecht zu gewähren,

daß sie zur Desertion aufruft und den Deserteuren Schutz und Aufenthalt anbietet;

daß sie unverzüglich wesentliche Beiträge für im Rahmen der KSZE geplante friedenserhaltende Aktivitäten leistet, was etwa eine Konfliktverhütungspolitik für Kosovo, Mazedonien und Sandjak einschließt;

von der EG das Angebot eines internationalen Wiederaufbauprogramms und eine langfristig garantierte Integration in die europäische Wirtschaftsentwicklung an alle politischen Kräfte des ehemaligen Jugoslawien bei Gegenleistung eines Waffenstillstands und Friedensschlusses; (...)

–und schließlich, in diesem nichtmilitaristischen Sinne, die Unterstützung aller Kräfte gegen den Krieg.

stark gekürzte Fassung