■ Die UNO und ihre Appeasement-Politik in Bosnien
: Pragmatisch-prinzipienlos

Wieder einmal wird im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über die Durchsetzung eines Flugverbotes gegenüber der serbischen Luftwaffe geredet, verhängt ist es ja längst. Aber immer noch ist die grundsätzliche Entscheidung vertagt. Wenn jetzt die Evakuierung von Verwundeten aus Srebrenica durch Hubschrauber, auch ohne das grundsätzliche Votum des Sicherheitsrates, durchgeführt werden soll, könnte dies immerhin ein – wenn auch für viele zu später – Schritt sein, endlich gegenüber der serbischen Kriegspartei etwas Flagge zu zeigen. Es wäre eine späte Reaktion darauf, daß von serbischer Seite nicht einmal die elementarsten, in vielen internationalen Konventionen vorgeschriebenen humanitären Regeln beachtet werden.

Die serbische Führung hält eisern an ihrer militärischen Strategie fest: Die Offensive der serbischen Truppen ist ungebrochen, die „Säuberung“ Ostbosniens von Nichtserben fast abgeschlossen, Srebrenica und die anderen Enklaven stehen vor der militärischen Eroberung. Sarajevo wird nun wohl auch nicht mehr lange zu halten sein. Schon jetzt deutet sich mit dem militärischen Druck auf Tuzla ein weiteres Ziel der serbischen Offensive in Bosnien an. Mit den Angriffen auf die kroatischen Städte Dubrovnik, Sibenik und Zadar wird zudem deutlich, daß das ursprüngliche Ziel, die Küste zu erreichen, von serbischer Seite nicht aufgegeben ist. Und das alles bei gleichzeitigen „Friedensverhandlungen“, ob nun in London, Genf oder New York.

Menschenhandel

Nichts ist dieser Tage offensichtlicher als das Scheitern der beiden Unterhändler Vance und Owen mit der Appeasement-Politik. Unter dem militärischen Druck und der verzweifelten Situation der Menschen in Srebrenica war der bosnische Präsident Izetbegović letzte Woche schon bereit, seine Unterschrift unter den Plan zu setzen. Er tat dies nicht, weil der Plan, nicht einmal immanent gedacht, aufrechterhalten werden kann. Die „ethnischen Säuberungen“ werden jetzt schon in einem Gebiet durchgeführt, das laut Vance- Owen-Plan zu den muslimanischen Distrikten gehören soll.

Der Pragmatismus, um nicht zu sagen: die Prinzipienlosigkeit der Vereinten Nationen, geht sogar so weit, trotz emphatisch vorgetragener Dementis ihrer Verantwortlichen vor Ort einem Austausch der Bevölkerungen zuzustimmen. Nur weil Serben aus Tuzla nach Serbien ausreisen können, dürfen die Verwundeten aus Srebrenica aus dem Kessel herausgeflogen werden. Mit diesem „Menschenhandel“, so die Wortwahl eines Vertreters des Roten Kreuzes, tragen die Vereinten Nationen selbst zur ethnischen Entmischung der Region bei.

Selbstverständlich ist diese Entscheidung weder General Morillon und auch der bosnischen Regierung leicht gefallen, lag doch hier der Zwang zugrunde, im Interesse der Schwerstverwundeten zu handeln. Doch wenn nicht noch auf andere Weise agiert wird, sind die Implikationen eines solchen Handelns weitreichend. Wieder einmal wurde so deutlich, daß die Weltorganisation bereit ist, die grundsätzlichen Prinzipien internationalen Rechts gegenüber einem aggressiv auftretenden Verhandlungspartner über Bord zu werfen.

Nationalistische Extremisten in anderen Teilen der Welt und auch Europas werden dies mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Rechtsradikale, ja faschistische Politik, so die Botschaft, kann bei entsprechendem Auftreten durchaus erfolgreich sein. Serbien exerziert exemplarisch vor, daß selbst die Vertreibung ganzer Bevölkerungen und die Ermordung und Vergewaltigung Zehntausender die widerstrebenden Interessen in der „Weltgemeinschaft“ nicht zu überwinden vermag.

Sicherlich trägt zu dieser Entschlußlosigkeit bei, daß mit Rußland und China zwei Länder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten sind, die aus unterschiedlichen Gründen eine militärische Aktion zur Rettung Bosniens verhindern wollen. Die Solidarität der russischen Regierung – auch noch zu der Zeit, da Jelzin die volle Verantwortung trug – zum „slawischen Bruder“ Serbien (zwar sind Kroaten und Muslimanen auch Slawen, gehören aber nicht zur Orthodoxie) manifestierte sich nicht nur in der Blockade des Weltsicherheitsrates und der Umgehung der Wirtschaftsblockade, sondern auch in der „Bereitstellung“ von Hunderten von Freiwilligen, unter ihnen Ausbilder der berüchtigten OMOS-Spezialisten.

Für China ist – wie übrigens auch für manche westlichen Länder (Frankreich, England, Spanien, Kanada) — schon der Gedanke an „Sezessionen“ unerträglich. So durchziehen die (heimlichen) Sympathien mit Serbien die Tätigkeit der UNO-Truppen vor Ort. Selbst die Massenmorde und Vergewaltigungen konnten dieses Bewußtsein kaum verändern. Die mitgeschleppten ethnisch-religiösen Vorurteile – so sind Muslime gerade bei Angehörigen der Kolonialstaaten Frankreich und Großbritannien besonders suspekt – tun ein übriges, um die „Neutralität“ der UNO vor Ort nicht gerade zu gewährleisten.

Auch das Zögern der Führungsmacht USA hat die heutige Situation mit heraufbeschworen. Sehr genau wußte die US-Diplomatie, daß die relative Stabilität der Fronten in Bosnien seit Januar damit zu tun hatte, daß die serbische Seite mit der Übernahme der Präsidentschaft durch Clinton ein härteres Vorgehen des Westens fürchtete. Doch das vorsichtige, mit Rußland abgestimmte Vorgehen Clintons hat die serbische Seite in ihrem Glauben bestärkt, auch die USA würden sich zu keiner grundsätzlichen Kursänderung hinreißen lassen, obwohl sie natürlich genau wußte, daß die militärischen Vorbereitungen für eine Intervention seit Januar 1993 abgeschlossen sind.

Zurückhaltung der USA

Bisher enttäuscht wurden die Hoffnungen der bosnischen Seite, mit dem Eintritt der USA in den Konflikt (den Abwürfen von Lebensmitteln über Srebrenica) würde die Unentschiedenheit der UNO überwunden. Bisher aber hat die noch unter der bosnischen Regierung lebende Bevölkerung allen Grund, zu fürchten, sie könnten zu Palästinensern des Balkans gemacht werden. Aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben, werden die Überlebenden zu Flüchtlingen degradiert. Schon sind es 800.000, die außerhalb des Landes leben müssen.

Daß die Regierungen Europas und die USA nicht in der Lage sind, für die Menschenrechte einzutreten, wenn nicht unmittelbare ökonomische Interessen im Spiel sind, das erwartete niemand ernsthaft. Daß jedoch nicht einmal ein unmittelbar politisches und strategisches Interesse vertreten wird, scheint darauf hinzuweisen, daß die gesamte Dimension des Krieges auf dem Balkan noch nicht genügend erkannt worden ist. Wenn das Prinzip der „ethnischen Säuberungen“ und des Landraubs durch Krieg, wenn also die Verbrechen auf dem Balkan nicht sanktioniert werden, ist der rechtsradikalen Politik auch anderswo nicht Einhalt zu gebieten.

Daß die deutsche Politik in besonderer Weise gefesselt ist, leugnet niemand. Die öffentliche Debatte aber tritt auf der Stelle. Die Ideen der siebziger Jahre sind der neuen politischen Lage in Europa einfach nicht mehr angemessen. Erich Rathfelder, z.Zt. Split