■ Teenager: In Prag sind Davidsterne groß in Mode
: Popmusik als religiöse Zeremonie

Prag (taz) – Alexandra (15) sucht in ganz Prag nach einem Talmud, David (17) möchte seine Hand auf die Klagemauer legen, und Teresa (16) hat gerade „Die Geschichte der Juden“ gelesen. Die drei sind Nichtjuden aus Chamutov, 80 Kilometer von Prag entfernt. Wahrscheinlich haben sie bisher nie einen Juden getroffen, aber alle tragen einen Davidstern um den Hals und besuchen die Jüdische Gemeinde in Prag.

Die drei Teenager sind Fans der Popgruppe „Shalom“, der derzeit erfolgreichsten Band in der Tschechei und der Slowakei. Im jüdischen Gemeindehaus hoffen die Fans, Petr Muk, 27, die Leitfigur der Gruppe, zu treffen. Der ist aber gerade beschäftigt. Er nimmt sein Mittagessen im koscheren Restaurant mit einem viel prominenteren Fan ein, dem Sekretär der Gemeinde, Tomas Kraus. Muk trägt ein schwarzes Samt-Kippa, „um Gott Respekt zu zeigen“. Er selbst ist kein Jude, glaubt aber, das Judentum sei die ideale Religion, „die den Gläubigen Antworten auf alle ihre Fragen gibt“.

Die Band nannte sich bei ihrer Gründung 1985 noch „Ocean“. Muk erzählt, daß die tschechoslowakische Geheimpolizei sie damals überwachte: Sie hielt die vier Musiker für zionistische Agenten. Der erste Schlager, „Rachel“, wurde zunächst verboten. Erst kurz vor der Wende erschien das Lied als Single und wurde prompt die Nummer eins der Hitparade. Seitdem hat die Gruppe drei LPs herausgebracht und Hunderte ausverkaufte Konzerte hinter sich.

„Ocean“ wurde von Muk und Petr Kucera vor zwei Jahren in „Shalom“ umgetauft, als die beiden sich immer mehr in das Judentum vertieften. Von der ersten LP („Shalom“) wurden 140.000 Exemplare verkauft, das Video dazu wurde in Israel aufgenommen.

Hunderte von 14- bis 18jährigen füllen jede Ecke im „Luzerna“, der bekanntesten Musikhalle Prags, um „die zwei Petr“ zu hören. Anfang des Jahrhunderts fand hier ein zionistischer Weltkongreß statt. Heute tragen viele Nichtjuden den Davidstern. Die Elektro-Pop-Musik klingt monoton, die Texte sind flach („Mein Ziel ist der Mount Sinai, dort werde ich Ruhe finden“). Viele singen mit wie bei einer religiösen Zeremonie. Manche knien nieder, halten sich fest an ihren Ketten mit dem Davidstern.

Nicht alle finden jedoch die jüdische Symbole so toll. Eine Gruppe von etwa 50 Skins drängt sich hinein. Einer stößt bis zur Bühne vor und zeigt den Hitlergruß. Ein anderer läßt sich gerne mit dem Hakenkreuz auf dem Ärmel fotografieren. „Ich bin gekommen, um zu provozieren“, sagt der 17jährige, „es gefällt mir nicht, daß die Gruppe über Juden singt.“ Er sei stolz auf seinen Vater, fügt er hinzu, „der war bei der Wehrmacht“. Seine blonde Freundin hat nicht soviel gegen Juden, aber sie haßt Schwarze. Wie viele Schwarze hat sie in ihrem Leben getroffen? „Zwei.“ Nach fünf Minuten greifen die Ordnungskräfte ein und schmeißen alle Skins raus.

Es ist nicht leicht, „Shalom“- Fan zu sein. „Ich wurde schon mit ,Juden raus‘ angeschrien“, erzählt David. Die Gruppe selbst wurde bei einem Konzert in Bratislava mit Steinen beworfen.

Manche sehen das Phänomen eher kritisch. „Jüdische Symbole sind zu ernst, um sie so zu benutzen“, meint der Chefredakteur von Rock und Pop, Wotech Landauer. Auch Kucera gibt zu, daß er sich manchmal „furchtbar“ fühle, religiöse Symbole für kommerzielle Zwecke zu benutzen. Die israelische Botschaft ist da jedoch ganz anderer Meinung und hat die Gruppe zu einer offiziellen Veranstaltung ins Heilige Land eingeladen. Muk lernt schon Hebräisch. Alexandra, David und Teresa suchen noch nach einem Lehrer. Igal Avidan