Armenier kochen Stahl statt Suppe

Regierung schaltet Familien Strom ab, damit Firmen weiter produzieren können / Weltbank hofft erstmals seit 1987 auf Wachstum  ■ Aus Eriwan James M. Dorsey

Ein drakonischer Plan zur Wiederbelebung der gelähmten Wirtschaft Armeniens zeigt erste Ergebnisse und könnte dem Land erstmals seit Mitte der achtziger Jahre wieder Wachstum bescheren. Das glauben zumindest Regierungsvertreter und Berater der Weltbank. Mitentscheidend für den Erfolg des Plans dürfte die Regierungsentscheidung werden, ob Armenien bald eine eigene Währung einführt, sowie die Frage, ob Saboteure im benachbarten Georgien die wenigen verbliebenen und höchst anfälligen Nachschublinien des Landes unterbrechen können.

Die armenische Wirtschaft ist als Ergebnis der aserbaidschanischen Wirtschaftsblockade im Krieg beider Länder praktisch zusammengebrochen. Vor allem fehlt es an Energie, die Regierung hat sich daher jetzt entschlossen, der Bevölkerung Wärme, Elektrizität und fließendes Wasser vorzuenthalten, um der Industrie sämtliche Energie des Landes zukommen zu lassen. „Wir sind dazu gezwungen. Wenn wir dem privaten Sektor mehr geben, werden wir am Ende nicht einmal das bißchen Energie bezahlen können, das wir jetzt kaufen. Die Bevölkerung muß für diese Strategie bezahlen. Wir hoffen, wir werden dadurch mehr Energie kaufen können“, sagt Wirtschaftsminister Aram Yeghiasarian.

Von den 450 großen Industriebetrieben Armeniens haben im letzten Monat immerhin sechzig die Produktion wiederaufnehmen können, teilte Yeghiasarian mit. Industriebetriebe mit Exportpotential in andere GUS-Länder oder in den Westen werden nach ihren Worten bevorzugt. „Dieses Land hat ein gutes wirtschaftliches Potential, aber es gibt keine wirkliche Chance zum Wiederaufbau, wenn die Blockade nicht aufgehoben wird“, kommentiert auch Mahesh Reddy, ein Berater der Weltbank in Armenien.

Die fünf Jahre Krieg mit Aserbaidschan um Nagorny Karabach, eine armenische Enklave auf aserbaidschanischem Territorium, haben Armenien zugrunde gerichtet: Die Produktion ist auf 30 Prozent des Standes von 1987 gesunken, der Lebensstandard auf ein Viertel. Die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos. Die aserbaidschanische Wirtschaftsblockade, verbunden mit der Unterbrechung der verbliebenen Versorgungslinien durch Georgien und der türkischen Weigerung, die Grenze zu Armenien für den freien Handel zu öffnen, haben das Land gelähmt.

In der Hoffnung, daß der Wirtschaftsplan die Produktion anheizt, will die Regierung jetzt den größten Teil des Einzelhandels sowie der Landwirtschaft, der Dienstleistungen und Leichtindustrie bis zum Ende dieses Jahres privatisieren, sagte Yeghiasarian. „Wir werden dieses Jahr mit der mittleren und schweren Industrie sehr vorsichtig umgehen müssen. Wir mußten unsere Privatisierungspolitik umstellen. Es herrscht Geldmangel im Lande und daher nur geringes Interesse an der Privatisierung“, sagte er.

Armenien ist mit seiner Rubel- Währung völlig von Rußlands Geldpolitik abhängig. Die Banken suchen verzweifelt nach Bargeld, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können. Die Regierung müsse zunächst überhaupt sicherstellen, daß sie ihre Steuern eintreiben kann, bevor sie Privatisierungsschritte unternimmt, berichteten Regierungsvertreter.

Zusätzlich wird die Privatisierung gehemmt durch ein Patt im Machtkampf zwischen Regierung und Parlament. Präsident Lewon ter Petrossians Popularität ist in den Umfragen auf unter 10 Prozent gesunken, aber die Oppositionsparteien wollen selbst keine Regierungsverantwortung übernehmen. „Wir haben nicht das Ziel, die Regierung zu ändern. Statt dessen fordern wir mehr parlamentarische Kontrolle über die Entscheidungen des Präsidenten“, erklärt Vartan Hakopian, ein Führer der nationalistischen Oppositionspartei Daschnaktsitiun.

Die anhaltende Hyperinflation in Rußland hat die Wirtschaftsplaner Armeniens zu der Überlegung veranlaßt, ob sie das Land aus der Rubelzone herauslösen und auf eine eigene Währung umstellen sollen. Das Parlament hat sogar bereits ein Gesetz verabschiedet, wonach die Regierung die Befugnis erhält, den Dram – armenisch für Geld – als eigene Währung einzuführen. „Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Wenn die Brennstoffpreise in den Himmel schießen, wäre eine eigene Währung besser. Das ist der Rat, den ich dem Präsidenten gebe“, sagte Yeghiasarian.

Private Bankiers dagegen sind skeptisch. Da die Reserven an ausländischer Währung auf weniger als zwei Millionen Dollar geschätzt werden, könnte die Absicht der Regierung, innerhalb der nächsten fünf Jahre Armenien aus der Rubelzone zu lösen, zu einer Katastrophe führen, warnen sie. Arthur J. Javadian, Vorstandsvorsitzender der Investbank, einer privaten Handelsbank, sagt: „Es wäre ein Fehler. Es wird unsere Importe und Exporte beschneiden, weil unsere Währung nicht konvertierbar wäre. Es wird die Inflation steigern und mehr Arbeitslosigkeit verursachen. Eine eigene Währung ist erst dann möglich, wenn die Privatisierung abgeschlossen, die Blockade aufgehoben und die Energiekrise beigelegt ist.“

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning