■ Verweigerungssyndrom gegenüber kollektiver Sicherheit:
: Die Linke und die Bundeswehr

Organisierte Gewalt ist unübersehbar in der Welt. Richtig: Militärische Gewalt ist immer furchtbar, kein aseptischer Sternenkrieg, sondern blutende, tote Menschen. Richtig: Die deutsche Vergangenheit verpflichtet zur Friedenspolitik. Richtig: Alle Instrumente nichtmilitärischer Konfliktlösung müssen ausgebaut und auch eingesetzt werden.

Aber: Für absehbare Zeit werden Menschen außerhalb Westeuropas oder Nordamerikas von Aggression, Völkermord, chaotischen organisierten Gewaltorgien bedroht sein. Vorbeugende Konfliktlösung wird in manchen Fällen ihr Ziel verfehlen, in anderen Fällen nur langfristig wirken. Der Unterschied zwischen Blauhelm- und Kampfeinsätzen wird mehr und mehr fließend – Blauhelme erhalten zunehmend das Recht, nicht nur zum Selbstschutz, sondern auch zum „Auftragsschutz“. Ohne diese zunehmende Auftragserweiterung besteht die akute Gefahr, daß Blauhelme zu Spielbällen oder gar Geiseln von Aggressoren werden – man denke an die Engländer und Franzosen in Sarajevo. Und wie den letzten Überlebenden aus den Konzentrationslagern Hitlers wird auch manchen dieser Opfer nur zu helfen sein, wenn die internationale Gemeinschaft den Mördern in den Arm fällt – mit Gewalt. Die Beseitigung von Konfliktursachen, die vorbeugende Konfliktlösung, die gewaltfreie Konfliktbehandlung und die gewaltsame Beendigung von Kriegshandlungen sind keine Alternativen, sie sind sich gegenseitig ergänzende Instrumente der gesamten Palette kollektiver Sicherheitspolitik. Ohne lang- und kurzfristige, gewaltfreie Konfliktvorbeugung verliert militärische kollektive Sicherheit ihre Legitimität. Ohne die Ultima ratio kollektiver Gewaltdrohung bleibt die internationale Gemeinschaft gegenüber unbeirrbarer Aggression und Völkermord hilflos.

Dagegen wird gewarnt, die gegenwärtige Debatte verkörpere geradezu die „Militarisierung der Außenpolitik“. Diese Warnung reagiert auf eine stets vorhandene Gefahr: die Verselbständigung der Gewaltmittel des Staates. Sie erscheint aber bei einem Schrumpfen des Verteidigungshaushalts, der Reduktion der Truppenstärke und der (kostspieligen) Verschrottung von Tausenden militärischen Geräten überzogen und unzeitgemäß.

Es ist wahr: Die Integration des Militärs in die Demokratie kann nie vollkommen gelingen. Die Streitkräfte folgen als hierarchisch organisiertes Gewaltinstrument teilweise einer eigenen, der zivilen Gesellschaft fremden Rationalität. Deshalb besteht immer die latente Gefahr, daß die Gewaltapparate – oft unterstützt von ehrgeizigen Zivilisten – sich verselbständigen und sich ihre Ziele selber setzen. Das ungute Gerede über nationale Führungsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, „Gleichstellung“ mit England und Frankreich, das Schwadronieren über militärische Sicherung der Rohstoffe und die schreckliche Rede von der „Normalisierung“ (als bedeute dies die Rückkehr zur Kanonenbootpolitik des 19. Jahrhunderts) weist auf dieses virulente Potential hin.

Viele auf der Linken mögen dies als die Bestätigung ihrer tiefsitzenden Einstellungen zu Staat und Militär sehen. Sie ist von der Rolle der Streitkräfte seit dem Kaiserreich geprägt. Die organisierte Gewalt des Staates war immer die Gewalt der „anderen“. Das Militär fungierte als das gnadenlose Instrument der Konterrevolution oder als die „Schule der Nation“, die potentielle Opposition durch Zwangsdisziplin und Gehirnwäsche ins Gewaltsystem integrierte.

Es führt jedoch in die Sackgasse, diesem Problem durch die Abwendung von den Streitkräften oder ihre Denunzierung zu begegnen. Vielversprechender ist es, anstelle einer pauschalen und stets vergeblichen Negation der staatlichen Gewaltmittel deren Einhegung und Fesselung zu betreiben und so die exekutiven Möglichkeiten abzuschneiden, diese Gewaltmittel nach Willkür einzusetzen. Hier scheint ein Teil der Linken – nicht zuletzt der SPD – ihre vergangenen Erfolge und Verdienste vergessen zu haben. Denn die Bundeswehr ist weder die Reichswehr noch die Wehrmacht. Sie ist, nicht nur im Vergleich zur deutschen Geschichte, sondern auch im Vergleich zu anderen westlichen Streitkräften, eine erstaunlich zivile Institution. Sie ist dies nicht zuletzt durch die Anstrengung sozialdemokratischer Politiker, von Erler bis Apel, die sich nach der Godesberger Abwendung von der erfolglosen Anti-Bundeswehr-Politik Schumachers um die Integration der Streitkräfte in die demokratische, zivile Gesellschaft bemüht haben, ohne die Wachsamkeit gegenüber der Verselbständigungsgefahr aufzugeben. Im Falle des externen Bundeswehreinsatzes heißt das: genaue Vorschriften für die Grenzbedingungen von solchen Einsätzen (nur im Rahmen der UNO oder gegebenenfalls KSZE; Bindung an Sicherheitsratsbeschlüsse und auf Grundlage eines Gestellungsvertrages, der seinerseits vom Parlament zu billigen ist); Einzelfallprüfung; Bindung von Einsätzen an eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages. Exekutiver Abenteuerlust und militärischer Naßforschheit werden damit wirksame Zügel angelegt. Es heißt darüber hinaus: internationale Vernetzung der Streitkräfte. Die Bildung bilateraler und multinationaler Corps im Rahmen der Nato und zwischen Deutschland und Frankreich läuft gerade auf eine Entnationalisierung von Militärpolitik hinaus. Sie macht es für die Zukunft der Exekutive weitaus schwieriger, im Stil des 19. Jahrhunderts nationale Abenteuer zu unternehmen. Dieser Effekt würde durch die vertragliche Unterstellung solcher multinationaler Truppen unter Organe kollektiver Sicherheit noch verstärkt.

Schließlich: Mir ist auch die immer wieder reklamierte „Sonderrolle“ Deutschlands suspekt. Ich sehe in der Geschichte dieses Landes die Verpflichtung zu einer besonderen Sensibilität gegenüber der organisierten Gewalt und gegenüber den Leiden der Menschen. Daraus den Imperativ abzuleiten, den berechtigten Anforderungen anderer demokratischer Länder und des Generalsekretärs der Vereinten Nationen die Verweigerung entgegenzustellen – man weiß ja besser, wie die Welt am nunmehr geläuterten deutschen Wesen zu genesen habe –, ist nur die kuriose Perversion wilhelminischer Arroganz. Die besondere Sensibilität soll unser historisches Erbe bleiben. Das entbindet Deutschland jedoch nicht von seiner WeltbürgerInnenpflicht, wozu – unter den betrüblicherweise vorherrschenden Umständen – auch die Solidarität mit den von brutaler Gewalt bedrohten Menschen zählt.

Das Leitbild, an dem sich diese Forderung orientiert, hat immer zum linken Ethos gehört: die internationale Solidarität mit den Unterdrückten. Wie je steht ihr die nationale Isolierung entgegen, die das für uns Erreichte bewahren, nicht riskieren oder preisgeben will und die nur die freundliche Kehrseite eines aggressiven nationalen Egoismus ist. Harald Müller

Der Autor ist Projektleiter an der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung