Die Borniertheit der weißen Mittelschichtsfrau

Das Primat des Patriarchats oder: Rassismus in Deutschland scheint eine Männersache zu sein – Thesen zur Gleichzeitigkeit von Diskriminierung und Dominanz und zum Antisemitismus der Frauenbewegung  ■ Von Birgit Rommelspacher

Angesichts der rassistischen Gewalt und des rechten Terrors sind und waren Frauen bisher recht still. Weder Hoyerswerda oder Hünxe noch Rostock oder Mölln haben eine breite Protestbewegung von Frauen bewirkt. Es gab keine zentralen Demonstrationen und Veranstaltungen. Es bildeten sich nicht massenhaft lokale Gruppen von „Frauen gegen Rassismus“. Christina Thürmer-Rohr vertritt zwar die zentrale These, die weiße Frauenbewegung habe sich bisher noch nicht mit Rassismus und Antisemitismus auseinandergesetzt. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Es gibt durchaus eine Anzahl von Publikationen zum Thema, selbst wenn wir uns nur auf westdeutsche Autorinnen beschränken. Denken wir an Maria Mies mit ihrem Buch „Patriarchat und Kapital“ sowie die zahlreichen Publikationen ihrer Kolleginnen Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomson zum Ökofeminismus. Denken wir an die Auseinandersetzung von Emma und Alice Schwarzer mit der Thematik. Oder aber auch an die lebhafte Diskussion feministischer Historikerinnen und Soziologinnen zum Thema Frauen und Nationalsozialismus.

Die Frage ist nun, ob das geringe antirassistische Engagement von Feministinnen nicht auch damit zu tun hat, wie Rassismus bei uns diskutiert wird. Nach Meinung von Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer ist rassistische Gewalt für Frauen nichts Neues. Ja, die Aufregung über den Rassismus sei geradezu heuchlerisch, solange nicht gesehen würde, daß die sexistische eigentlich viel schlimmer ist. Wurden doch zum Beispiel 1991 Hunderte von Frauen Opfer sexistischer Gewalt gegenüber „nur“ einem guten Dutzend Morden an Fremden. Konsequenterweise hat sie zu einer Kampagne: „Stoppt Frauenhaß“ aufgerufen.

Kein Zweifel: Wenn wir uns darauf einlassen, alleine die Toten zu zählen, werden sicherlich mehr Frauen im Jahr von Männern umgebracht als Nichtdeutsche von deutschen Rassisten. Wenn allerdings auch die gezählt würden, die aufgrund einer rassistischen Abschiebepolitik in den sicheren Tod geschickt werden, die dem Krieg, dem Verhungern und Erfrieren überlassen werden, so sähe die Rechnung anders aus.

Die entscheidende Frage ist jedoch: Kann man das so einfach vergleichen? Die Gemeinsamkeit von rassistischer und sexistischer Gewalt liegt darin, daß mit ihrer Hilfe eine politische Ordnung durchgesetzt werden soll, die weiß, patriarchal und heterosexistisch dominiert ist.

Der Unterschied liegt aber darin, daß rassistische Politik die systematische Entwertung, Vertreibung oder gar Vernichtung bestimmter ethnischer Gruppen zum Ziel hat, wohingegen Frauen jeweils so in ihre Gesellschaft verwoben sind, daß sie zwar auf vielfältige Weise gedemütigt und in den Dienst genommen, aber nicht systematisch vertrieben oder gar ausgerottet werden. Das heißt, die Beziehung zwischen Dominanten und Diskriminierten ist jeweils eine andere, was einen unmittelbaren Vergleich der verschiedenen Herrschaftsformen nicht zuläßt.

Diese Verschiedenheit macht es nun möglich, daß jemand der/die einerseits diskriminiert ist, in einem anderen Zusammenhang durchaus zu den Dominanten gehört. Das heißt, so wie schwarze Männer gleichzeitig auch Sexisten sein können, können weiße Frauen auch Rassistinnen sein.

Der Versuch nun, den Sexismus als das Primäre, das Schlimmere, das Ursprüngliche zu setzen, hebt diese Verschiedenheit auf. Und insofern kann man auch sagen, daß die deutsche Frauenbewegung sich bisher nur sehr wenig mit Rassismus auseinandergesetzt hat, da sie rassistische Gewalt nur als eine Variante oder Extremform des Patriarchats begreift und nicht in seiner eigenen Logik zu erfassen versucht.

Das ist meines Erachtens der Hauptgrund, warum Frauen sich so wenig gegen Rassismus wehren: Er ist für sie eine Männersache. Erst wenn die Gemengelage sich in Richtung Geschlechterkampf polarisiert, erst wenn im Rassismus der Kampf der Männer gegen die Frauen zu erkennen ist, stimmt das feministische Koordinatensystem wieder, und die Frauen engagieren sich. So geschehen beim Bekanntwerden von Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien.

Ich möchte dieses Engagement keineswegs herabsetzen. Es kann sicherlich vielen Frauen helfen und Not lindern. Nur wird der Erfolg dieses Engagements auch davon abhängen, inwieweit sich die Helferinnen wirklich auf die Situation vor Ort einlassen und dabei nicht im Sinne eines missionarischen Feminismus den zerstrittenen Parteien beweisen möchten, daß es „im Grunde“ um einen Kampf der Männer gegen die Frauen geht. Denn zentral handelt es sich um einen Kampf zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, an dem Frauen wie Männer gleichermaßen beteiligt sind.

Das wird deutschen Feministinnen sicherlich schwerfallen, solange sie nicht sehen, daß auch in Deutschland Frauen gleichermaßen am Rassismus beteiligt sind wie Männer. So zeigen verschiedene Untersuchungen übereinstimmend, daß es keine relevanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen bezüglich „ausländerfeindlicher“ Einstellungen gibt.

Diese Tatsache steht ganz im Gegensatz zum Augenschein, wenn wir die gewalttätigen rassistischen Auseinandersetzungen betrachten: Denn die sind in der Tat fast ausschließlich eine Sache der Männer, nämlich zu 95 Prozent. Das heißt, wenn wir uns allein auf den gewalttätigen Rassismus konzentrieren, läßt er sich leicht mit Sexismus identifizieren. So wenn Alice Schwarzer kernig formuliert: „Wer Frauen schlägt, der schlägt auch Fremde.“

Übersehen wird dabei jedoch, daß es eine sehr breite Palette von Rassismen gibt, darunter durchaus auch frauenspezifische: Zum Beispiel wenn Tagesmütter sich weigern, schwarze oder „ausländische“ Kinder in Pflege zu nehmen.

Die These vom Primat des Patriarchats hat also zur Folge, Rassismus im wesentlichen als Männersache zu begreifen, für die Frauen nicht verantwortlich zu machen sind. Sie empfiehlt Feministinnen, sich doch lieber auf den „Kern des Problems“ zu konzentrieren, anstatt sich durch den Kampf gegen den Rassismus ablenken zu lassen. Der ist ohnehin im Kampf gegen den Sexismus immer mitgemeint. Doch genau das ist nicht der Fall, solange weiße Frauen zugleich auch Interesse an weißer Herrschaft haben.

Eine Frau, die als Frau diskriminiert wird, kann gleichzeitig als Weiße privilegiert sein und wiederum diskriminiert als Angehörige unterer sozialer Schichten. Als Weiße fühlt sie sich immer noch einem Schwarzen überlegen, selbst wenn sie sich als Frau unterlegen fühlt.

Diese Gleichzeitigkeit von Diskriminierung und Dominanz unterläuft auch die Solidarität von Frauen. So schreibt Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“, daß die Frauen des Bürgertums solidarisch sind mit dem männlichen Bourgeois und nicht mit der Frau des Proletariats, als Weiße mit den weißen Männern und nicht mit den schwarzen Frauen. Und sie meint an anderer Stelle: Die bürgerliche Frau lege Wert auf ihre Ketten, weil sie auf die Vorrechte ihrer Klasse nicht verzichten will.

Simone de Beauvoir schätzt also den Widerspruch zwischen Klassen und ethnischen Gruppen als gravierender ein, als den zwischen Männern und Frauen. Das macht sie allerdings nicht durchgängig. In weiten Passagen ihres Buches scheint der Gegensatz zwischen Frauen und Männern der wesentliche zu sein, über alle Kulturen, Subkulturen und historischen Epochen hinweg.

Damit kommt die – wenn auch nicht bewußt erfaßte – Realität zum Ausdruck, daß je nach Perspektive mal der Widerspruch zwischen den Geschlechtern, mal der zwischen Klassen und der zwischen ethnischen Gruppen in den Vordergrund tritt, ohne jedoch die anderen außer Kraft zu setzen.

Interessant ist nun, wie die verschiedenen Herrschaftsformen miteinander interagieren: Ein solches Ineinandergreifen zeigt sich zum Beispiel in feministischen Analysen, die zugleich Rassismus reproduzieren. So wenn feministische Forscherinnen davon ausgehen, daß frau das Geschlechterverhältnis am besten in seiner weißen westlichen Form studieren könne, da hier die Mechanismen des Patriarchats gewissermaßen in Reinform vorlägen, wohingegen im Arbeitermilieu oder in der „Dritten Welt“ Klassenherrschaft und Rassismus als zusätzliche Faktoren die Situation verkomplizierten. Rassismus und ökonomische Ausbeutung werden so zu einem Extra- Problem, das nur für die von Bedeutung ist, die davon betrofffen sind. Tatsächlich sind aber auch weiße Mittelschichtsfrauen davon betroffen, nämlich indem sie davon profitieren. Das heißt, das Geschlechterverhältnis, wie auch unsere Vorstellungen von Emanzipation, sähen ganz anders aus, wenn sie nicht zugleich auf Rassismus und ökonomischer Ausbeutung basieren würden. Dies ist uns im allgemeinen nicht bewußt. Aber gerade in dieser Leugnung der Dominanz reproduzieren wir sie.

Andererseits wird Rassismus reproduziert, wenn beispielsweise Feministinnen den militanten Sexismus im Islam anprangern. In ihrer Radikalisierung der Perspektive wird der Islam ausschließlich über seinen Sexismus definiert und das meist über seine extremsten Erscheinungsformen. Diese Sicht wird weder der Vielfalt der islamischen Kulturen gerecht, noch werden die Widersprüche innerhalb des Islam gesehen und auch nicht der Anteil der westlichen Dominanz an den Entwicklungen etwa des islamischen Fundamentalismus, der eben auch eine Reaktion auf westliche Vorherrschaft und zunehmende Verarmung in islamischen Ländern ist.

In der Radikalisierung hin auf den Geschlechtergegensatz verbirgt sich also eine Borniertheit, die nur die Situation der westlichen weißen Mittelschichtsfrau sieht. Da sie „nur“ vom Sexismus unterdrückt wird, wird dieser zur Hauptsache. Ihr eigener Anteil an Dominanz geht in dieser Eindimensionalität unter.

Schließlich ist noch ein dritter Aspekt wichtig: Zu Recht spricht Christina Thürmer-Rohr davon, daß es nicht nur um Rassismus, sondern auch um Antisemitismus geht (s. taz vom 8.1.1993). Wie aber macht sich Antisemitismus in der Frauenbewegung bemerkbar? Dazu wird in ihrem Artikel nichts gesagt. Und das ist durchaus typisch für die Diskussion: der Rassismus wird thematisiert, der Antisemitismus bestenfalls erwähnt.

Das ist meines Erachtens nicht zufällig. Denn mit dem Antisemitismus ist bekanntlich in Deutschland die Erinnerung an die blutigste Terrorgeschichte verbunden. Selbst Historikerinnen, die sich mit dem Nationalsozialismus und seiner Rassenpolitik befassen, wie etwa Gisela Bock, setzen sich nicht mit dem Antisemitismus auseinander. So erstaunlich das klingen mag, bei der ganzen Debatte um die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus ist der Antisemitismus kein Thema.

Es fehlt in dieser Diskussion die Auseinandersetzung mit dem jahrtausendealten Erbe eines christlichen Antijudaismus — in Ansätzen von einigen feministischen Theologinnen geleistet — und mit der Frage, wie das Selbstverständnis der Deutschen zentral über ein negatives Judenbild geformt wurde. Wie weit diese kulturellen Prägungen auch deutsche Frauen und die Frauenbewegung bestimmt haben, davon erfahren wir bis heute nichts. Das ist um so bedauerlicher, als das Studium des Antisemitismus z.B. deutlich macht, daß Rassismus verschiedene Wurzeln hat: Einerseits dient er der Legitimation ökonomischer Herrschaft, wie das vor allem beim Rassismus in der Tradition des westlichen Kolonialismus der Fall ist. Andererseits kann aber auch ein kultureller Gegensatz mörderisch sein, denn die antisemitische Verfolgungsgeschichte widerspricht oft genug jeder ökonomischen Realität. Es ging im christlichen Antijudaismus immer um die Selbstvergewisserung des Christentums als der rechtmäßigen, als der einzig wahren Religion, die das Judentum „überwunden“ hat. Oder wie Boris Groys formuliert: „Wenn der Christ in sich hineinschaut und seinen Ursprung sucht, steht da immer schon der Jude, und das verzeiht er ihm nie.“

Dieser Satz von Groys ließe sich auch auf das Geschlechterverhältnis übertragen: Der Mann, der durch die erlebte Ohnmacht und Abhängigkeit von seinem Ursprung, der Mutter, die Frau immer kontrollieren, sie herabsetzen und zugleich sich immer auch ihr gegenüber beweisen muß.

Insofern können wir hier auch wieder Gemeinsamkeiten erkennen, vorausgesetzt, die grundsätzlichen Unterschiede werden gesehen. Das heißt, der reichhaltige Fundus der feministischen Forschung könnte meines Erachtens durchaus helfen, die komplexe Dynamik von Herrschaft besser zu begreifen, nämlich daß Unterdrückung sowohl aus der Perspektive ökonomischer Interessen wie auch kulturell-historischer Traditionen und psychodynamischer Reaktionsmuster zu verstehen ist.

Nützen wir diese komplexe Sichtweise, um auch die vielfältigen Rassismen – ob „kolonialen“ Rassismus, Antislawismus, Antisemitismus oder die Feindschaft gegenüber dem Islam – besser zu verstehen. Die Chance vergeben wir uns allerdings, wenn wir Rassismus mehr oder weniger umstandslos auf Sexismus zurückführen.