Da waren's nur noch sechs

Sechs Thüringer Kommunen kämpfen noch gegen den Stromvertrag / Vergleichsvorschlag des Verfassungsgerichts nicht akzeptabel  ■ Von Marita Vollborn

Berlin (taz) – Ausdauer verdient den Preis, sagt ein deutsches Sprichwort. Wenn dem so wäre, würden die sechs thüringischen Gemeinden Bad Salzungen, Sollstedt, Heiligenstadt, Bleicherode, Schmalkalden und Sonneberg letztlich doch noch erfolgreich sein, im Konflikt mit den westdeutschen Energiegiganten PreussenElektra, RWE und Bayernwerk Recht bekommen.

Begonnen hatten die Auseinandersetzungen vor fast zwei Jahren, als insgesamt 164 ostdeutsche Kommunen beim Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe gegen den Stromvertrag vom August 1990 klagten, damals ausgehandelt zwischen der Treuhandanstalt, der DDR-Regierung unter de Maiziere und den westdeutschen Energieverbundunternehmen (EVU). Gemäß Stromvertrag erhielten die Energiekonzerne eine Kapitalmehrheit an den ehemaligen 15 Bezirkskombinaten – die ostdeutschen Kommunen aber sollten sich mit nur 49 Prozent der Aktienanteile bescheiden.

Allerdings deckte sich diese Übereinkunft nicht mit geltendem Recht. Denn noch im Juli 1990 verabschiedete die Volkskammer der DDR ein Kommunalvermögensgesetz, wonach den ostdeutschen Kommunen ihre in den fünfziger Jahren vom sozialistischen Staat enteigneten Stromanlagen und Grundstücke unentgeltlich übertragen werden sollten. Grund genug für die Gemeinden, mit dem Marburger Anwalt Peter Becker vor das BVG zu ziehen und zu klagen, sehen sie sich doch um ihr rechtmäßiges Eigentum zugunsten der Stromriesen aus dem Westen geprellt. Nach Meinung des Marburger Anwalts verstößt der Stromvertrag zudem gegen Artikel 28 des Grundgesetzes: er schränke das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen ein und ersticke jeden Wettbewerb im Energiemarkt.

Der Kompromißvorschlag des BVG vom Oktober 1992 brachte für die meisten Gemeinden eine akzeptable, wenn auch keine bejubelte Lösung: die Gemeinden, die groß genug sind, um eigene Stadtwerke zu gründen, erhalten kostenlos ihre örtlichen Netze und Anlagen zurück, müssen aber im Gegenzug auf ihre Anteile an den regionalen Stromversorgern verzichten. Die kleinen Gemeinden können Aktienanteile an den Regionalversorgern erwerben. Der Knackpunkt: Diese ohnehin finanzschwachen Kommunen sind im Prinzip gar nicht in der Lage, die Anteile zu kaufen – die großen Energieversorger schlucken sie mit. Die Folge ist, daß im Laufe der Zeit der Aktienanteil unter 25,1 Prozent fällt. „Und das“, so Thomas Lenz vom Städte- und Gemeindeverband Thüringen, „bedeutet den Tod des Mitspracherechts für die Kommune.“

158 der ehemals 164 klagenden Gemeinden und Städte fanden sich mit dem richterlichen Vorschlag ab, nur die genannten sechs Thüringer halten an ihrer Klage fest. „Auch wenn alle Gemeinden umfallen“, meint Thomas Lenz, „kommt der Kompromiß nicht zustande, denn bis jetzt haben sich eine Reihe von Gemeinden überhaupt noch nicht geäußert.“ Andere hätten zwar zugestimmt, das allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Auch die Parlamentarier und Stromwirtschaftler von Sollstedt und Bleicherode würden sich ihren 158 KollegInnen anschließen, wenn beide gemeinsam ein Stadtwerk errichten könnten. Das aber schließt der Vorschlag des BVG völlig aus.

„Es wird in der Öffentlichkeit behauptet, wir wollten den Stromvertrag kippen. Das ist eine Verleumdung. Gegen uns soll nur Stimmung gemacht werden“, ärgert sich Lenz. Seit Mitte Februar dieses Jahres, als sich die Streitenden im Bonner Wirtschaftsministerium bei Staatssekretär Dieter von Würzen trafen, ist kein Gespräch mehr zustande gekommen – trotz der Zusage von Würzens, baldmöglichst eine Zusammenkunft zu organisieren.

Auch die Treuhand scheint absehbare Fortschritte im unendlichen Stromdebakel zu blockieren. Beispiel Bad Salzungen: Die Stadt ist groß genug, um ein Stadtwerk bauen zu können, ihr fehlt aber die sogenannte Fünfergenehmigung. Paragraph 5 des Energiewirtschaftsgesetzes schreibt vor, daß noch vor der Grundsteinlegung geprüft werden muß, ob die Kommune ein Stadtwerk wirtschaftlich unterhalten kann. Dazu muß die Treuhand die Unterlagen bereithalten, die den technischen Zustand der Anlagen beschreiben. Da sie das nicht tut, bekommt Bad Salzungen auch nicht die erforderliche Genehmigung für den Stadtwerksbau.

Hinter der Verzögerungstaktik von Bundesregierung und Treuhandanstalt kann man mehr vermuten als nur eine „Überlastung“ der Behörden. Wolfgang Schäuble schreibt in seinem Buch „Der Vertrag – Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte“, daß die drei großen Verbundunternehmen PreussenElektra, Bayernwerk und RWE erheblichen Druck auf die damalige Bundesregierung ausübten. Ihr Mittel: Sie würden vom Stromvertrag zurücktreten, erhielten sie nicht die Kapitalmehrheit an der gesamten DDR-Elektrizität. Wirtschaftliche Führungsrolle aber öffnet die Pforten für ein Diktat der Preise. Daß die Erzeugerpreise durch die umwelt- und ressourcenschonende Kraft-Wärme- Kopplung in den potentiellen Stadtwerken nur um zehn Pfennig je Kilowattstunde liegen, dürfte den Strommonopolisten ein Dorn im Auge sein. Um den Blick wieder frei zu haben über den ostdeutschen Markt, wäre ihr Fazit nur logisch: Laßt uns die Konkurrenz vertreiben, damit wir die Lücke mit westdeutscher Atomenergie füllen können.