Die Wut im Bauch spürt er immer noch

■ Gesichter der Großstadt: German Meneses lernt als Jugendamtsleiter in Hellersdorf die Politik der kleinen Schritte / Für seine Schützlinge überschreitet der gebürtige Peruaner auch bürokratische...

Hellersdorf ist nicht Klein-Chicago. Damit das möglichst viele Menschen trotz gegenteiliger Berichte in der Sensationspresse erfahren, lädt Germán Meneses seine Gesprächspartner in den Ostberliner Bezirk ein, sich selbst ein Bild zu machen. Und damit die Aussage auch in Zukunft stimmt, engagiert er sich als Jugendamtsleiter des Bezirks. „Wenn Sie einen Schreibtischtäter wollen, bin ich der falsche“, will der 45jährige bei seiner Einstellung gewarnt haben. „Wenn Sie aber jemanden brauchen, der wirklich da ist, wo Jugendliche sind, und praktisch etwas tut, dann glaube ich, der richtige Mann zu sein.“

Davon ist Meneses auch heute überzeugt und nennt als Erfolgsbeispiel das „Helliwood“. Meneses hatte eine ehemalige Kita in den Jugendclub umgewandelt und einem freien Träger übergeben. Das Beispiel zeigt seiner Ansicht nach, wie solche unkonventionellen Projekte funktionieren können: Ziemlich chaotisch nämlich, am Rande des Machbaren und vom Verwaltungsrecht gedeckten Handelns, aber erfolgreich. „Das Helliwood ist immer rammelvoll“, sagt Meneses. „Hier können Jugendliche im Gegensatz zu herkömmlichen Freizeitstätten tatsächlich das Gefühl bekommen, sie machen was selber, können mitgestalten.“ Der Erfolg wird ihm von oben bescheinigt: Jugendsenator Thomas Krüger soll einmal gesagt haben, daß Berlin 18 Helliwoods brauche.

Meneses würde ihm da nicht widersprechen – obwohl er bezweifelt, daß Krüger überaus glücklich wäre, wenn er das Chaos hinter den Kulissen einmal sehen würde. Aber die vielen rechtsfreien Räume, die Narrenfreiheit, die es im Osten noch gebe, müßten ausgenutzt werden. Sonst wäre Jugendarbeit hier kaum machbar.

Der neue Job, den Meneses 1992 annahm, führte ihn zu alten Themen zurück. Der gebürtige Peruaner wuchs in Lima auf und besuchte eine angesehene Schule für Deutsche und Schweizer, wo er als „Cholo“, als Mischling, diskriminiert wurde. Mit 16 zog er daher nach Deutschland, woher sein Großvater stammt, besuchte das Gymnasium und studierte, nach einer vorübergehenden Rückkehr nach Peru, in Westberlin Soziologie. Doch seine Stärke sieht er nicht im theoretischen Bereich.

1984 nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an, zog 1988 für die Alternative Liste in den Bundestag ein und erfuhr wieder Diskriminierung: Die „negative“ der CDU/CSU-Parlamentarier, die dem dunkelhäutigen Mann mit leichtem Akzent kein Urteil über deutsche Politik zugestanden. Und die „positive“ der Linken, die Ausländer automatisch interessant finden und ihnen automatisch die typischen Themen zuschieben: Ausländerpolitik und Entwicklungshilfe.

Sein Vater, der in Peru ein bekannter Funktionär der sozialdemokratischen Partei war, predigte Meneses, sich immer auf die Seite der Schwachen zu stellen. Die sieht er jetzt im Osten. „Das DDR-System hat unmündige Bürger erzogen“, sagt Meneses, „die Jugendlichen leiden unter mangelnder Eigeninitiative.“

Schubladen, in die Meneses paßt, lassen sich kaum finden: Durch seine lateinamerikanische Herkunft läßt er sich nicht einfach als Wessi klassifizieren. Und in der AL galt Meneses als dickköpfiger Einzelgänger. Auch jetzt bricht er mit linken Gewohnheiten und Ansprüchen. Viele Sozialarbeiter aus dem Westen stellten zu hohe Anforderungen an die Jugendlichen aus dem Osten, meint er.

Dabei hat Meneses früher die Politik der kleinen Schritte selbst abgelehnt. Doch der Anspruch, immer „echte“ Lösungen zu finden, sei viel zu hoch. Zum Beispiel beim Thema Gewalt. Die Deutschen glaubten, das zu schaffen, was alle anderen Länder nicht geschafft haben, nämlich die Gewalt „in den Griff zu kriegen“, beobachtet Meneses. Dabei sei es unlogisch, daß in einer Gesellschaft, die in Schule, Familie und Medien Gewalt produziere, ausgerechnet die Jugendlichen nicht gewalttätig sein sollten.

Wenn Meneses erzählt, redet er lange und ruhig. Doch bei allem Pragmatismus: Die Wut im Bauch ist nicht geringer geworden. „Ich muß mich oft zusammennehmen, nicht auszuflippen, weil ich denke, wir könnten so viele tolle Sachen machen ohne großen Aufwand. Und es klappt nicht, nur aus bürokratischen Gründen.“ Auf der anderen Seite stehen die alltäglichen kleinen Erfolgserlebnisse. Als Meneses vor einiger Zeit von einem rechten Jugendlichen angepöbelt wurde, sammelten Jungen und Mädchen aus Hellersdorf 300 Solidaritätsunterschriten für ihren Jugendamtsleiter. „Sagen wir mal so“, formuliert Meneses vorsichtig, „die mögen mich. Das hilft gegen die frustrierenden Momente.“

Die Arbeit im Osten angenommen zu haben, habe sich jedenfalls gelohnt. Weil er hier auch als Amtsleiter nicht im Büro verstauben muß. Und weil er, wie er sagt, gerne mit Ossis zusammenarbeitet. „Ich habe vor, in Hellersdorf zu bleiben.“ Allen Meinungen über Klein-Chicago und seine Bewohner zum Trotz. Stefan Niggemeier