Lesben und Schwule werden EG-weit diskriminiert

■ Europäische Stiftung für Menschenrechte legt Bericht zur Gleichbehandlung vor

„Homosexualität: Eine Angelegenheit der Europäischen Gemeinschaft“, heißt die Studie, die die Europäische Stiftung für Menschenrechte (European Human Rights Foundation, EHRF) im Auftrag der EG-Kommission erstellt hat. Damit liegt der erste umfassende Forschungsbericht über die Diskriminierung von Lesben und Schwulen in der EG vor.

Die 400 Seiten starke Studie untersucht die gegenwärtige rechtliche, soziale und wirtschaftliche Lage von Schwulen und Lesben in den verschiedenen Mitgliedsländern und gibt einen Überblick darüber, was die EG-Institutionen bisher im Bereich der Gleichberechtigung von Homosexuellen getan beziehungsweise versäumt haben. Die Stiftung gibt in dem Bericht umfassende Empfehlungen für notwendige Korrekturen des EG- Rechts, um die noch immer bestehende rechtliche Diskriminierung im Kompetenzbereich der EG zu beseitigen.

Die Liste der Bereiche, in denen Schwule und Lesben diskriminiert werden, ist lang: In keinem EG- Mitgliedsland gibt es einen vollen rechtlichen Schutz gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund von sexueller Orientierung. Jemand, der wegen seiner Homosexualität nicht befördert oder gar entlassen wird, kann nur dagegen klagen, dies „ungerechtfertigt“ oder „aus unfairen Gründen“ erfolgte. Der Arbeitgeber kann jedoch geltend machen, der Mitarbeiter sei für ihn aufgrund der sexuellen Orientierung nicht tragbar.

In einigen EG-Ländern wurden schwulen Männern Krankenkassenleistungen verweigert oder der Abschluß einer Versicherung abgelehnt, weil eine HIV-Infektion befürchtet wurde. Lesben- und Schwulengruppen oder -vereine werden in vielen Mitgliedsstaaten nicht rechtlich anerkannt. Schwul- lesbische Aufklärungs- oder Beratungstätigkeit wird häufig mit dem Hinweis auf eine „zu positive Darstellung von Homosexualität“ behindert beziehungsweise als „unmoralisch“ verboten. Polizeikontrollen und Feststellung der Personalien an schwulen und lesbischen Treffpunkten sind keine Seltenheit. Einen gewissen rechtlichen Schutz gegen Diskriminierungen bieten lediglich Dänemark, die Niederlande und Frankreich.

Diejenigen Schwulen und Lesben, die in einer festen Partnerschaft leben, werden gegenüber Heterosexuellen besonders stark diskriminiert, da ihre Lebensgemeinschaften von den meisten EG-Staaten nicht anerkannt werden. Hieraus ergeben sich Nachteile im Mietrecht, bei der Kranken- und Altersversorgung, beim Steuer- und Erbrecht ebenso wie beim Sorge- und Besuchsrecht für Kinder aus einer früheren heterosexuellen Partnerschaft. In vielen Mitgliedsstaaten ist es für Lesben schwierig, eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen. Die Adoption eines Kindes von gleichgeschlechtlich lebenden Partnern beziehungsweise das gemeinsame Sorgerecht für Kinder, die bei einem homosexuellen Paar aufwachsen, wird von keinem EG-Land zugelassen. Die weitestgehende Gesetzgebung gibt es in Dänemark, wo seit 1989 gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft registrieren lassen können (oft vereinfachend als „Homoehe“ bezeichnet). Der Unterschied zur traditionellen Ehe liegt jedoch in der fehlenden Möglichkeit einer Adoption und bei der ebenfalls unzulässigen Übertragung von Rechtenansprüchen im Falle des Todes des Lebenspartners. In Norwegen, das noch nicht EG-Mitglied ist, hat das Parlament kürzlich ein gleichlautendes Gesetz verabschiedet, das zum 1.8.1993 in Kraft tritt.

Extrem schwierig kann sich eine gleichgeschlechtliche Beziehung gestalten, wenn der Partner aus einem Nicht-EG-Land kommt. Je nach Herkunftsland kann er/sie an der Grenze zurückgewiesen werden, da unter Umständen keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird. Homosexualität als Asylgrund wird von den meisten EG- Ländern nicht anerkannt. Nur in Dänemark, den Niederlanden und in Deutschland ist die Gewährung von Asyl bei Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung – zumindest in der Theorie – prinzipiell möglich. Sogar die Freizügigkeit von EG-ArbeitnehmerInnen innerhalb der Gemeinschaft kann laut EG-Vertrag „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“ eingeschränkt werden. Diese Bestimmung könnte sich auch gegen Schwule und Lesben richten.

Angesichts der zahlreichen Diskriminierungen, denen Homosexuelle ausgesetzt sind, fordert die belgische Europa-Abgeordnete Marijke van Hemeldonck, „daß jeder in den Parlamentsausschüssen behandelte Text, der Freizügigkeit, Beschäftigung, soziale Strukturen und so weiter betrifft, Schwule und Lesben nicht diskriminiert“. Für das Europäische Parlament schlägt sie vor, eine kleine Arbeitsgruppe von Abgeordneten zu bilden, die sich für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben einsetzen wollen. Zur Zeit beschäftigt sich auch ein Ausschuß des Parlaments in einem Bericht mit der Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen in der EG.

Die EG-Kommission hat zwar den EHRF-Bericht in Auftrag gegeben; daraus entsteht für sie jedoch keine Verpflichtung zum Handeln. Die Kommissarin für soziale Angelegenheiten, Vasso Papandreou, die die Studie 1991 in Auftrag gab, ist nicht mehr im Amt. Ihr Nachfolger, der irische Kommissar Padraig Glynn, hat einem Treffen mit dem Internationalen Lesben- und Schwulenverband (ILGA) immerhin zugestimmt und bereits eine Kontaktperson innerhalb der Kommission designiert. Ob die Studie einen Handlungsdruck erzeugen kann, wird jedoch entscheidend von der öffentlichen Meinung in den verschiedenen Mitgliedsländern abhängen. Meinungsumfragen zeigen, so ist im Bericht nachzulesen, daß die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen langsam (!) zunimmt... Thomas F. Kramer

Der Bericht ist in englischer Sprache erhältlich bei der European Human Rights Foundation (EHRF); 13, rue van Campenhout; B-1040 Brüssel, Belgien