In sechs Stufen vom Ossi zum Wessi

■ Einigung in der ostdeutschen Metallindustrie: Lohnangleichung bis 1996

Dresden (dpa) – Nach zweiwöchigen Streiks ist der Tarifkonflikt in der ostdeutschen Metallindustrie so gut wie beigelegt. Nach rund 21stündigen Gesprächen und Verhandlungen einigten sich die IG Metall und die Arbeitgeber in Sachsen am Freitag in Dresden auf einen Kompromiß, der zugleich eine Pilotlösung für die gesamte Branche in den neuen Ländern sein soll. Die noch laufenden Streiks in Sachsen werden nach einer Urabstimmung vermutlich am Mittwoch mit der Frühschicht beendet.

Die Verhandlungsführer der sächsischen IG Metall und des Verbandes der sächsischen Metall- und Elektroindustrie, Hasso Düvel und Hans Peter Münter, begrüßten den Kompromiß, der nach ihren Worten ohne die Vermittlung von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) nicht zustande gekommen wäre. Sie würden die Übernahme der Vereinbarung den zuständigen Gremien der Arbeitgeber und der Gewerkschaft empfehlen und rechneten fest mit der Annahme. Der Vorstand der IG Metall will heute in Frankfurt am Main über die Aussetzung der Streiks beraten. Auch in den übrigen Tarifbezirken Ostdeutschlands soll es heute Beratungen geben. IG Metallchef Düvel sprach von einem guten, akzeptablen Ergebnis, sein Gegenpart Münter von einem schmerzhaften Kompromiß.

Die Einigung wurde durch folgende Übereinkunft möglich: Die Kündigung des 1991 vereinbarten Stufenplans durch die Arbeitgeber wird gegenstandslos. Zugleich will Gesamtmetall eine Erklärung abgeben, daß die außerordentliche Kündigung von Tarifverträgen grundsätzlich kein geeignetes Mittel zur Lösung von Tarifkonflikten ist.

In seinem Kern sieht der Tarifkompromiß bis zum 1. Juli 1996 eine Angleichung der Löhne und Gehälter in sechs Stufen bis auf 100 Prozent des West-Niveaus vor. Ursprünglich sollte der volle West-Lohn bereits am 1. April 1994 erreicht werden. Im Fall von wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann der neue Endpunkt um ein weiteres halbes Jahr gestreckt werden.

Für die rund 170.000 Beschäftigten der Branche in Sachsen werden die Tarife zunächst zum 1. Juni dieses Jahres auf 75 Prozent, zum 1. September auf 78 Prozent und zum 1. Dezember auf 80 Prozent des West- Niveaus angehoben. Danach sollen jeweils zum 1. Juli der kommenden drei Jahre die Tarife auf 87, 94 und 100 Prozent steigen.

Aus rechtlichen Gründen tritt zunächst rückwirkend vom 1. bis zum 15. April der ursprünglich vereinbarte Lohnsprung von 26 Prozent in Kraft. Danach werden bis zum Beginn des neu ausgehandelten Stufenplans am 1. Juni neun Prozent mehr Lohn und Gehalt gezahlt.

Ferner verständigten sich beide Parteien auf eine „Härteklausel“, mit der wirtschaftlich schwachen Unternehmen nach begründetem Antrag und mit Genehmigung der Arbeitgeber und der Gewerkschaft eine Bezahlung unter Tarif gestattet werden kann. Über das Vorliegen eines Härtefalls müssen sich beide Tarifvertragsparteien verständigen, andernfalls wird der Antrag einer Schiedsstelle vorgelegt. Die Anwendung dieser Öffnungsklausel soll mit der 100prozentigen Angleichung automatisch aufgehoben werden. Kommentar Seite 10