Vergnügte Pathologie

Witold Gombrowicz' „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ in der Heidelberger Inszenierung beim Berliner Theatertreffen  ■ Von Peter Laudenbach

Witold Gombrowicz' Stück „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ spielt in einem märchenhaften Burgund, an einem dekadenten Königshof: ein grausig groteskes Märchen. Aus einer Laune heraus will der Prinz ein so häßliches wie geheimnisvoll stummes Mädchen heiraten. Einen Jux will er sich machen. Das Mädchen verwirrt den gesamten Hof bis zur Hysterie – ein Katalysator, der das Verdeckte, Verdrängte sichtbar macht. In Hans-Ulrich Beckers Heidelberger Inszenierung wird daraus ein sehr gegenwärtig-realistisches Stück. Park und Palast verwandeln sich in einen sachlich kühlen Innenraum, eher der Salon einer Industriellenvilla als ein königlicher Palast (Bühne: Alexander Müller-Elmau). Der König wird zum smarten Geschäftsmann, die Höflinge sind eine Mischung aus Partygesellschaft und leitenden Angestellten, die Königin eine Dame der Gesellschaft, der Prinz ein gelangweilt eitler Schickeriaschönling. Die Inszenierung hat Gombrowicz' polnischem Stück aus den dreißiger Jahren allen Operettenflitter ausgetrieben. Was übrigbleibt, ist nüchterne Sachlichkeit und der Versuch einer vor plakativ-holzschnittartigen Überdeutlichkeiten nicht zurückschreckenden „Gesellschaftsanalyse“. Besonders erhellende Erkenntnisgewinne hat dieser entschlossen analytische Blick nicht zu bieten: Wir sehen, daß die High- Society sich gründlich langweilt und, durch einen Fremdkörper bis zur Hysterie gereizt, die Maske der smarten Eleganz verliert. Sichtbar wird das pathologisch Verzweifelte der gesellschaftlichen Vergnügungen, der Autismus wie die völlige Haltlosigkeit der Societyhyänen.

Besonders neu ist das nicht, aber gelegentlich gewinnt die Inszenierung dem bezwingende Bilder ab: so wenn die Höflingsclique, um eine peinliche Situation zu überspielen, die Peinlichkeit zum gelungenen Scherz erklärt und sich, eine enthemmte Irren- Combo, den schönsten psychomotorischen Spielen hingibt; man schlägt sich auf den Schenkel, faßt sich an die Nase, hüpft umher: ein nettes kleines Irrenhaus. Aber solche Momente, in denen spielerische Reizungen und Schönheiten erhellend werden, sind selten. Die These von der Höhe zwischen Dekadenz und Pathologie, Upper Class und Neurose wird so hölzern vorgebracht, daß für spielerische Leichtigkeit kaum Platz bleibt. Der theatralische Preis der ideologisch heilen Welt dieser Inszenierung ist entschieden zu hoch. Wenn man die Grundthese einmal verstanden hat, wird das Spiel schnell spannungslos. Trotz der absurden Wendungen, der sich steigernden Hysterie bleibt alles hübsch übersichtlich und jeden Augenblick aufs grauenvollste vorhersehbar. Die Inszenierung macht nichts falsch, sie ist jeden Augenblick präzise gearbeitet – allein, das genügt nicht zum szenischen Wunderwerk, das unsere Kinderherzen höher schlagen ließe. Wir sehen mit einigem Respekt, aber eigentlich ohne größeres Interesse, Leuten bei der Arbeit zu, die ihr Handwerk gründlich verstehen: Höhepunkte des Stadtheaters. Auch die Schauspielkunst kommt selten übers gediegene Handwerk hinaus: Rainer Bock als König Ignaz ist eine elegante Mischung aus alertem Kotzbrocken und smartem Komiker, Prinz Philipp (Andreas Durban) ist sicher charming – nur verstehen wir nicht recht, weshalb er auf die Idee verfällt, die verstörend geheimnisvolle Yvonne heiraten zu wollen; weder seine Langeweile noch sein Weltekel, weder die Lust am Tabubruch noch der Übermut sind akzentuiert – ein netter Jüngling, aber niemand, dem man solche Wahnsinnseinfälle zutraut. Einzig das seltsame Irrlicht Yvonne (Pia Podgornik) durchbricht das friedliche Dahinplätschern der Inszenierung. Sie stakst wie eine Schlafwandlerin durch das Großbürgerelend, ein Gespenst wie aus einer anderen Welt: Vielleicht träumt sie das alles nur, vielleicht sehen wir ihren Träumen zu. Die Momente, in denen sie den biederen Realismus der Inszenierung durchbricht, sind von einer undurchsichtigen Poesie, die die Inszenierung vor dem völligen Biedersinn rettet.

Witold Gombrowicz: „Yvonne, die Burgunderprinzessin“. Deutsch von Heinrich Kunstmann. Regie: Hans-Ulrich Becker. Bühne: Alexander Müller-Elmau. Kostüme: Elisabeth Rauner. Mit: Pia Podgornik, Rainer Bock, Irene Kugler, Andreas Durban u.a.