Unterm Strich

Unsereiner, der gerade eben, nach völlig unmäßiger Überschreitung der Regelstudienzeit, sein Lebenswerk in Form einer Magisterarbeit von mehreren hundert Seiten vorgelegt hat, liest die neueste Prosa der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin Anke Brunn mit großem Mißvergnügen: „Ein durchschnittlicher begabter Student muß sein Studium wieder in der Regelstudienzeit abschließen können. Magisterarbeiten sollen nicht länger zu vielen hundert Seiten umfassenden Lebenswerken ausarten.“ Der durchschnittlich begabten Ministerin hätten ein paar ruhige Semester und ein paar hundert Seiten Übung womöglich geholfen, ihren Stil zu verbessern. Und uns blieben ungelenke Politrhetorik-Surrealismen wie der folgende erspart, mit dem Frau Brunn ihren Forderungskatalog rundet: „Unterhalb dieser Schmerzgrenze ist ein Bildungsgipfel für die Länder nicht denkbar.“

Stilsichere taz-Leser, die noch mitten in der jahrelangen Arbeit am Lebenswerk Magisterarbeit stecken, seien hiermit ausdrücklich ermuntert, die Sache noch ein Weilchen auf die lange Bank zu schieben: Die Stadt Heidelberg sucht Menschen, die gern schreiben und denen das Sümmchen von 20.000 DM mehr als ein müdes Lächeln entlockt. Der Clemens- Brentano-Förderpreis 1994 wird in der Sparte Essay vergeben. Unveröffentlichte Beiträge von bis zu 20 Norm-Seiten nebst bio-bibliographischen Infos gehen an das Kulturamt der Stadt Heidelberg, Bauamtsgasse 5, 6900 Heidelberg 1. Die zahlreichen verarmten Preisträger und Stadtschreiber unter unseren Lesern seien gewarnt: Voraussetzung für die Teilnahme ist strikte Jungfräulichkeit in Sachen literarische Auszeichnung.

Letztens lasen wir irgendwo in der U-Bahn, auf einem vorüberrauschenden Plakat, den schwer grüblerischen Satz: „Es ist die Maschine in Dir, die nach Zärtlichkeit verlangt“. Wow! Sofort ging es los im Kopf: „Es ist der Meßdiener in Dir, der nach einem anderen Kanzler verlangt“ – ganz nett! Dann: „Es ist der Klassenprimus in Dir, der nach begeisterten Leserbriefen verlangt“ – nicht übel! Schließlich: „Es ist der Oberlehrer in Dir, den es nach Sprachkritik verlangt“ – jawoll! Allein – wat mutt, dat mutt, denn man meldet uns soeben, daß im Wendland Künstler, Kunsthandwerker und Biobauern ihre Ateliers und Höfe einer Kunstaktion Namens: Wunde.r.punkte 93 geöffnet haben. Die Künstler und Künstlerinnen wollen dort mit Ausstellungen, Lesungen und Performanceveranstaltungen nach „Bruchzonen zwischen Idylle und Wirklichkeit“ fragen. „Wunderpunkte“, erläutert Organisator Michael Seelig, „sind da, wo man so schön radfahren kann und muß und am Wegesrand auf Kunst und allerlei Sonderliches stößt.“ Aber auch Schlechte.n.deutsch.sprach, können wir da nur ergänzen, ist da, wo man auf so Sonderliches stößt.