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Der neue Flächennutzungsplan (Folge 5): Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen stehen gegen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs / Neue Anbindungen an Wohngebiete im Osten  ■ Von Severin Weiland

Wohl kaum ein Thema in Berlin wird derzeit so heftig diskutiert wie die Verkehrsplanung des Senats. Es ist fast gleichgültig, ob es sich dabei um neue Straßen, U- und S-Bahn, Flughäfen oder die Wasserstraßen handelt – an kritischen Stimmen mangelt es nicht. Im Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan (FNP) allerdings findet sich das entsprechende Kapitel „Verkehr“ an allerletzter Stelle. Zufall oder Ausdruck eines Denkens, das nach Meinung vieler Kritiker in der Verkehrspolitik der sechziger Jahre behaftet ist?

Tiergartens Baustadtrat Horst Porath (SPD), dessen Bezirk mit dem vorgesehenen Tunnel am Reichstag und den Planungen für den künftigen Regierungssitz aus den Schlagzeilen nicht herauskommt, kann sich über den FNP in Sachen Verkehr nur ärgern. Einen „Fehlgriff“, einen „Offenbarungseid“ nennt er die Vorstellungen, die die Verkehrsverwaltung in den FNP-Vorentwurf einfließen ließ. Vor allem erzürnt ihn die Tatsache, daß gleich mehrere Straßen in Tiergarten als „überörtliche Verbindungsstraßen“ ausgewiesen worden sind. Etwa die Beusselstraße, die „wir schon jetzt wegen der Schadstoffbelastung zumachen müßten“. Auch die Tatsache, daß der FNP die Straßenbahnlinien nicht ausdrücklich festschreibt, sei eine „Bankrotterklärung“. So jedenfalls, lautet Poraths Fazit, werden innerhalb des S-Bahn-Rings der modal split von 80 Prozent zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs und 20 Prozent für den Autoverkehr nicht erreicht.

Laut FNP ist in den nächsten 20 Jahren bei einem Bevölkerungswachstum von 300.000 mit einer Steigerung des Verkehrsaufkommens um mehr als zehn Prozent zu rechnen. Voraussetzung sei allerdings, daß das „Mobilitätsverhalten“ der Bevölkerung gleichbleibe. Kernpunkt der FNP-Planung ist es, die dichtbesiedelte Innenstadt durch ein System von Ringstraßen gegen den Durchgangsverkehr „abzuschirmen“. Der äußere Innenstadtring, der sich am S-Bahn- Ring anlehnt, soll als Stadtautobahn im Südosten und Osten über Neukölln, Treptow und am Ostkreuz zur Frankfurter Allee weitergeführt werden. Für die Grünen/AL zeigt sich gerade an diesem Beispiel die „hirnrissige Autoförderungspolitik von vorgestern“. So verlaufe die Trasse am Teltowkanal im FNP genau parallel mit der Markierung „Vorranggebiet für Luftreinhaltung“.

Es sind jedoch nicht nur diese Widersprüche, die Kritiker auf die Palme bringen. Zwar wird im FNP viel von „Umweltverträglichkeit“ gesprochen und die Reduzierung des Innenstadtverkehrs als Ziel benannt. Im selben Atemzug wird aber der neu entstehende engere Innenstadtring festgeschrieben, der mit dem Ausbau der Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichhain den West- mit dem Ostteil verbinden soll.

Neue Straßen sind vor allem im Osten, Nord- und Südosten Berlins vorgesehen – wo in den nächsten Jahren dichte Wohnsiedlungen entstehen werden. So finden sich auch die Planungen für eine Nordtangente, die von Reinickendorf und Blankenburg bis zur Ortsumfahrung von Malchow gehen soll – mit einem Anschluß an die neu zu legende Bundesstraße 2.

Auch die zunächst vernünftig erscheinende Zielsetzung des FNP, als „Grundgerüst“ des öffentlichen Nahverkehrs auf die S- und U-Bahn zu setzen, wird von Kritikern zumindest skeptisch gesehen. Axel Mauruszat, Sprecher des Arbeitskreises Verkehrsplanung beim BUND, hält es für einen Fehler, weiterhin auf den Ausbau des U-Bahn-Netzes zu setzen. Mit den durchschnittlichen Kosten von 200 Millionen Mark für einen Kilometer U-Bahn, so seine Rechnung, könnten 20 Kilometer Straßenbahn gelegt werden.

Ein „heikles Thema“ ist für Mauruszat die FNP-Planung zu den Flughäfen. Während die FNP- Vorgabe, Gatow und Tempelhof zu schließen, dem Ansinnen von Bürgerinitiativen entspricht, bleiben Tegel und Schönefeld nach wie vor als Flughafenstandorte erhalten. Sie sollen so lange weiterbestehen, bis ein neuer Großflughafen in Betrieb geht.

Kaum beachtet, aber dennoch nicht ohne Brisanz sind im FNP auch die Planungen zum Ausbau der Wasserstraßen. Im Südosten Berlins soll im Bereich Späthsfelde (Neukölln/Treptow) ein neuer Hafen gebaut werden. Unweigerlich, so die Grünen/AL in Neukölln, würden durch den damit entstehenden zusätzlichen Bedarf an Industrie- und Lagerflächen die bisherigen Grün- und Erholungsgebiete gefährdet. Eine solche „zentralistische Hafenplanung“ berücksichtige weder die kaum ausgelasteten innerstädtischen kleineren Standorte noch Häfen im brandenburgischen Umland.