Von Hasen und Menschen

■ Hearing des Grimme-Instituts zur deutsch-deutschen Mediengeschichte

Welche Rolle die Medien in der Auseinandersetzung zweier politischer Systeme spielten, wie sie Wahrnehmung, Kenntnisse und Meinungen der Deutschen über den jeweils anderen deutschen Staat und seine BewohnerInnen prägten, ist Gegenstand eines Projekts („Unsere Medien – unsere Republik“) des Adolf-Grimme- Instituts in Marl sowie einer Reihe von begleitenden medienhistorischen Hearings.

Deutsch-deutsche Berichterstattung in der Zeit nach Honeckers Amtsantritt 1971 und dem Grundlagenvertrag von 1972 war das Thema des dritten Hearings in der Pfingstwoche in der Berliner Kongreßhalle am Alexanderplatz. Als Folge des politischen Tauwetters konnten erstmals westdeutsche Journalisten kontinuierlich aus der DDR berichten. Ein im Bewußtsein der BundesbürgerInnen „fernes Land“ rückte näher. Welche Bilder aus dem zweiten deutschen Staat die Journalisten „im Wechselbad von Zugangsmöglichkeiten und Kontrolle“ damals vermittelten, wollte Petra Schmitz, Redakteurin des Projekts, von den auf dem Podium versammelten Zeitzeugen wissen.

Klaus Polkehn, von 1954 bis 1992 als Journalist bei der Wochenpost, merkte man die Überraschung an. Konfrontiert mit einem fast 20 Jahre alten Filmausschnitt (Lothar Loewes „Menschen in der DDR“, ein ARD-Feature von 1975), erstaunte ihn die Selbstverständlichkeit, mit der da über die staatliche Existenz der DDR berichtet wurde.

Und die Wahrnehmung der Bundesrepublik durch die Medien der DDR? Christoph Dieckmann (Jahrgang 1956), Zeit-Journalist und Co-Moderator, skizzierte vorsichtig Indikatoren, an denen sich für seine Generation damals Hoffnungen auf Veränderung festmachten. Lange Haare, Rockmusik – „die Freiheit war zwar nicht angebrochen, aber es waren Dinge möglich, die es vorher nicht gab“.

Polkehn erinnerte für die Jahre 1971 bis 1976 eine thematische Offenheit seiner Zeitung („in engen Grenzen und hinterher zurückgenommen“), die ebenfalls Aufbruch versprach. Aber: Die BRD fiel ins Auslandsressort, rangierte dort „quantitativ“ weit hinter den USA, Vietnam, Chile. Inhaltlich wurden Negativthemen (Neonazis, Arbeitslosigkeit) bevorzugt.

Eindeutig pessimistisch fiel eine weitere Rückschau in die Welt der DDR-Kulturschaffenden, Abteilung Film, aus: Egon Günther, Regisseur und Schriftsteller, seit 1979 im Westen lebend, benannte die Schwierigkeiten mit der Kulturbürokratie. Trotz politischer Veränderungen zu Beginn der 70er Jahre habe es unter seinen Kollegen „eigentlich überhaupt niemanden“ gegeben, „der irgendwann Hoffnung hatte“.

Lothar Loewe, konservatives Urgestein, nach Stationen in Washington und Moskau ab Dezember 1974 als erster Studioleiter der ARD in Ost-Berlin akkreditiert, hatte es leichter. Als erklärter Gegner der „verbrecherischen“ und „zutiefst undemokratischen“ DDR-Ordnung, gleichwohl Anhänger der von Egon Bahr formulierten Ostpolitik, kann er sich heute in der Gewißheit, das Richtige getan zu haben, zurücklehnen. Loewes direkte Art der Berichterstattung empfindet man nach 20 Jahren als sachlich und unverkrampft. Offensichtlich war das damals anders, denn lange ertrug ihn die DDR-Führung nicht – willkommenen Anlaß für den Rauswurf bot im Dezember 1976 ein drastischer Satz: „Hier in der DDR weiß jedes Kind, daß die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen.“

Anders als die ARD in jenen Jahren setzte das Magazin des ZDF „Kennzeichen D“ auf das Interesse des Publikums an einer Berichterstattung über Probleme und Mißstände in beiden deutschen Staaten. Der dem Magazin eigene „moderate Ton“, so Dieckmann, sei ausschlaggebend für die Beliebtheit der Sendung in der DDR gewesen und ein Gegengewicht zu den „ungeheuren Quanten an Selbstgerechtigkeit in der BRD“. Marianne Regensburger, seit 1972 für „Kennzeichen D“ tätig, über eine Folge dieses Systemvergleichs: „Wenn wir die Bundesrepublik kritisierten, dann konnte man ziemlich sicher sein, daß diese Kritik im DDR-Fernsehen auftauchte, nämlich bei Karl-Eduard von Schnitzler, den wir reichlich mit Material versorgten.“

Die rabiat durchgeführte Neuordnung der Medienlandschaft im Osten ist – vier Jahre nach dem Ende der DDR – abgeschlossen. Die DEFA ist abgewickelt, Presse, Hörfunk und Fernsehen arbeiten nach westdeutschem Muster. Da verblassen Erinnerungen oder werden verdrängt, und der Versuch einer Bestandsaufnahme gerät leicht zur peinlichen Rechtfertigungsübung. Die Moderatoren des Hearings haben diese Klippe umschifft. Andreas Nowak