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: Zehn Minuten Alibi

„Streitfall Fernsehen“, Montag, 22.50 Uhr, Sat.1

Sat.1 setzt Zeichen. Das Fernsehen ist Gegenstand heftiger Diskussionen, und als verantwortungsbewußter Sender darf man sich solcher Kritik nicht verschließen. All die Auseinandersetzungen um Sex und Gewalt, um Reality und Werbung können schließlich – gerade angesichts der unbestrittenen eigenen Kompetenz auf diesen Gebieten – nicht anderen überlassen werden. Eine selbstkritische Sendung muß her, mit knallharten Fragen an unabhängige Experten, zur besten Sendezeit. Sagen wir, zehn Minuten lang gegen 23 Uhr nachts vor Alexander Kluge.

„Streitfall Fernsehen“ ist das drei Wochen alte Ergebnis dieser Überlegungen. Natürlich müßte eine Alibi-Sendung dieser Art nicht unbedingt von jemandem gesehen werden; der gewünschte Feigenblatt- und Baldrian-Effekt wird wohl durch die bloße Existenz des Programms erreicht. Trotzdem achtet Sat.1 darauf, die ZuschauerInnen nicht mit allzu radikaler Kritik an Sendern wie dem eigenen zu verunsichern.

Gewalt im Fernsehen? Ist natürlich nicht toll, sagt der Medienforscher, aber ein Verbot wäre viel schlimmer! Werbung im Fernsehen? Klar, nicht der Hit, räumt der Geschäftsführer ein, aber eine Einschränkung wäre unser Tod! Sex im Fernsehen? Wenig aufregend, findet der Wissenschaftler, aber für eine Entfernung aus dem Programm gibt es ü-ber-haupt keinen Anlaß!

Der Arzt Falk Wienecke mühte sich nach Kräften aufzuzeigen, daß Sexfilme wahrscheinlich gar keine, auf jeden Fall aber keine negative Wirkung hätten. Als Lohn fürs Zugucken habe man einfach „Bilder aufgegessen“, erklärte er. Die „Einverleibung von Bildern“ sei „seit Jahrtausenden gewissermaßen die Einverleibung von Menschen ohne Reue“. Die „eigentliche Gefahr“ drohe dem Sex im Fernsehen durch die Werbeindustrie: Sie scheue die Nachbarschaft zu den Schmuddelfilmen, weil die erotischen Reize der Reklame mit den stärkeren der Filme nicht konkurrieren könnten.

Überträgt man diesen Gedanken auf „Streitfall Fernsehen“, läßt das gute Werbeeinnahmen im Umfeld der Sendung erwarten. Zumindest besteht keine Gefahr, daß die Informationsreize der Werbeclips von denen des Programms übertroffen werden könnten. Stefan Niggemeier