Eine Höllenmaschine für Hitler

■ Zu Helmut Ortners Buch über Georg Elser

Zu Beginn der achtziger Jahre wurde in der alten Bundesrepublik mit der Alltagsgeschichte des Nationalsozialismus auch die Renitenz der kleinen Leute entdeckt. Geschichtswerkstätten begannen, die Biographien von Mitläufern und Zuschauern, von Deserteuren und Wehrkraftzersetzern zu bergen. Zu eben dieser Zeit wurde auch jener „Attentäter aus dem Volke“ wiederentdeckt, der am 8.November 1939 um ein Haar die deutsche Volksgemeinschaft um ihren Führer gebracht hätte: Georg Elser. Der 1903 auf der Schwäbischen Alb geborene Schreinergeselle plazierte eine Bombe in der Säule über dem Rednerpult des Münchner Bürgerbräusaales, in dem die NSDAP den Jahrestag ihrer 1923 gescheiterten „nationalen Revolution“ zu zelebrieren pflegte.

Die Detonation der kunstvoll fabrizierten Höllenmaschine tötete acht Menschen und verletzte 63 teils schwer; Hitler indes hatte kürzer als gewöhnlich zu den Seinen gesprochen und war schon auf dem Weg zum Sonderzug nach Berlin. Ein nahezu perfektes Attentat, ausgeführt von einem einzelgängerischen Sonderling? Das nährte Spekulationen. Spätestens seit den Arbeiten der Historiker Anton Hoch und Lothar Gruchmann darf die These vom Einzeltäter als gesichert gelten. Gruchmann publizierte 1970 die Protokolle der Aussagen Elsers, die als „Geheime Reichssache“ in den Trümmern des Reichsjustizministeriums gefunden wurden.

Helmut Ortner hat mit seinem Buch „Der einsame Attentäter“ den Versuch unternommen, die Lebensgeschichte Elsers „in dokumentarisch-erzählerischer Form möglichst authentisch zu schildern“. Herausgekommen ist dabei eine konzeptionell nicht überzeugende Mischung aus Zitaten, hölzern wirkender Prosa und oberflächlicher Geschichtsschreibung.

Gleichwohl gelingt es Ortner passagenweise, die Lebenswelt dieses sanftmütigen, im Grunde gewöhnlichen Menschen zu evozieren. Oft wechselte Elser Arbeitsstellen, die seine handwerklichen Fertigkeiten unterforderten und nahm dafür auch Arbeitslosigkeit in Kauf. Er war nicht bloß verschlossener Individualist, sondern suchte auch Geselligkeit in Vereinen, wo er Ziehharmonika und Baßgeige spielte. Der pietistisch beeinflußte „Kunsthandwerker“, zahlendes Mitglied der Holzarbeitergewerkschaft und zeitweise des Rotfrontkämpferbundes, nicht unpolitisch, doch ohne Interesse an großen Entwürfen, faßte während der Sudetenkrise im Herbst 1938 den Entschluß, die „höhere Führung“ zu beseitigen: vor allem wohl in der Hoffnung, den drohenden Krieg zu verhindern.

Spannend ist das Buch dort, wo aus dem von Gruchmann edierten Polizeiprotokoll die „Autobiographie“ spricht. Elser mußte den Vernehmungsbeamten der Gestapo nicht nur alle Einzelheiten des Attentats schildern, sondern auch über Herkunft, Jugend und beruflichen Werdegang berichten. Diese annähernd 100 Druckseiten umfassenden Dokumente sind, obgleich durch das Verfolgungsinteresse der Gestapo gefiltert, ein ungleich authentischeres Stück Literatur als Ortners Versuche. Er konnte sich nicht entscheiden, wie dieser Stoff zu gestalten sei: ob als Dokumentation oder literarisch verdichtete Erfindung. Niklaus Meienberg zum Beispiel ist in seinem Buch über den Schweizer Hitler-Attentäter Maurice Bavaud einen anderen Weg gegangen. Er suchte weder den Schein der Authentizität noch blieb er den Grenzen eines Genres verhaftet, sondern läßt drei Ebenen erkennen: die Geschichte des Attentäters, die eigene Spurensuche und die Erlebnisse während dieser Recherche.

Wie einer aber inmitten der deutschen Volksgemeinschaft, in der, nach einem Wort Peter Brückners, „die Mehrheit als Sekte“ erschien, wie einer aber in solcher Gesellschaft die Distanz bewahren konnte, um einen schlichten, vernünftigen Plan zu fassen, bleibt ein Geheimnis, dem wir uns nur mit Scheu gedanklich nähern können. Georg Elser, der über 30 Nächte lang auf wunden, eitrigen Knien das Bombenversteck präparierte und tagsüber oft in Kirchen der Stadt Ruhe suchte, gibt uns die Frage auf, was wohl aus Deutschland 1939 ohne Hitler geworden wäre – und durchbricht damit jäh die Hermetik des Nun-einmal-so- Gewesenen. So fällt vom 8.November 1939 ein Schatten auf den viel zu späten 20.Juli 1944 (was den Mut eines Stauffenberg nicht schmälert). Nicht zu reden von der Schande einer Arbeiterbewegung, die als mächtigste der Welt galt, doch selbst nach ihrer kampflosen Kapitulation nicht ein bescheidenes Attentat zuwege brachte. Horst Meier

Helmut Ortner: „Der einsame Attentäter. Der Mann, der Hitler töten wollte“. Steidl Verlag, Göttingen 1993, 239 Seiten, 14,80DM

Niklaus Meienberg: „Es ist kalt in Brandenburg. Ein Hitler-Attentat“. Wagenbach Verlag, Berlin 1990, 184 Seiten, 16,50DM