„Jetzt gibt's nicht mal mehr ein Klo“

Drogencafé schließt auf Druck der Anwohner für einen Monat seine Türen / Mit dem „erzieherischen Signal“ existiert in Bremen kein niedrigschwelliges Angebot für Junkies mehr  ■ Aus Bremen Christine Holch

Still ist es an diesem Morgen auf dem Hinterhof neben dem Ortsamt im Bremer „Viertel“. Eine Frau liegt zusammengekrümmt auf dem Boden. Eine andere starrt auf die Sonnenflecke auf dem rissigen Beton. Sieben Drogenabhängige kochen sich gerade auf Dosendeckeln den Stoff für ihren morgendlichen Schuß. Eine weitere Gruppe läßt sich noch Spritzen aus dem Automaten vor dem Ortsamt – in Bremen gibt es nur noch zwei Spritzenautomaten. Fast 300 Drogenabhängige zählt die sogenannte offene Szene im Viertel. Manche haben noch eine Wohnung, 60 wohnen in städtischen Unterkünften wie der „Jola“, mindestens 100 sind obdachlos.

Zwei Polizeibeamte biegen um die Hausecke. „Mann, nicht mal zehn Minuten laßt Ihr uns in Ruhe“, nölt ein Junkie. Seit zwei Wochen kommen die Beamten mehrmals täglich auf den Hof. Neben der Kontrolle der Szene schauen sie auch nach, ob jemand vom Druck bewußtlos ist: „Komatöses Verhalten, kalter Schweiß, das sieht man sofort.“

Nach dem Spritzen torkeln die Abhängigen zur belebten Sielwallkreuzung, lagern dort vor Schaufenstern. Alljährlich wird die Polizei verstärkt auf Streife geschickt, um die Junkies zu vertreiben. Bis vor kurzem konnten die wenigsten von 12 bis 15 Uhr in einem Café sitzen, im Café der einzigen niedrigschwelligen Einrichtung Bremens, der Drobs (Drogenberatungsstelle).

Doch die Drobs ist für fünf Wochen dicht. Für die täglich 150 BesucherInnen heißt das: kein Kaffee, kein Klo, kein Wäschewaschen, kein Duschen, kein Mittagessen für zweifuffzig. Geöffnet haben nur noch die medizinische Betreuung und die soziale Beratung mit Spritzentausch.

Die Schließung ist als Erziehungsmaßnahme gedacht. Damit gaben die MitarbeiterInnen der Drobs dem Druck der AnwohnerInnen nach: Die wollten nämlich nicht länger mitansehen, wie immer mehr Junkies vor der Tür der Drobs dealten und sich einen Schuß setzten. Angehörige hätten sich nicht mehr reingetraut, berichtet ein Sozialarbeiter, außerdem hätten einige Junkies die Vorgärten als Toiletten benutzt.

Die Schließung des staatlich finanzierten Cafés ist als Signal für die Junkies gedacht, sich an gewisse Regeln zu halten. Außerdem hofft man, auf diese Weise Abhängige, die noch eine Wohnung haben, loszuwerden. Nur völlig runtergekommene, sprich: stark verelendete Junkies sollen kommen. Die anderen können sich gefälligst an die regionalen Beratungsstellen in Bremen Ost, West und Nord wenden, meint ein Sozialarbeiter. Dort aber gibt es nur Beratung, kein Café.

Damit das „erzieherische Signal“ auch wirkt, hat die Polizei eine Woche lang eine „Wanne“ mit fünf Beamten vor die Drobs gestellt. Nur wer auf eine Beratung wartet, wird nicht des Platzes verwiesen. Eben wankt ein bleicher Mann mit verbundenem Arm aus der Drobs. Ihm hat der Arzt einen Abszeß gespalten. Nebeneffekt der Caféschließung: Die beiden Ärzte in der Drobs haben merklich weniger PatientInnen. Bisher konnten sie Bedürftige direkt im Café ansprechen.

„Die Drogenabhängigen sind willig, die leisten eigentlich nie Widerstand“, berichtet ein Beamter von der Vertreibung, „die kennen das schon.“ Außerdem würden bewußt nur ältere Beamte für diesen Dienst eingesetzt. Effekt der Vertreibung: Die Junkies drücken sich jetzt in anderen Straßen des Viertels herum. Den gleichen Effekt hatte schon die ersatzlose Zerschlagung des Drgenstrichs vor einem halben Jahr: Statt nur in einer Straße prostituieren sich die Frauen nun im ganzen Viertel. Sie arbeiten vereinzelt, können sich also kaum noch gegenseitig schützen und auf gewalttätige Freier aufmerksam machen. Der Betreuungsbus wurde dichtgemacht, mit der Konsequenz, daß die Frauen verstärkt ohne Kondome arbeiten und gebrauchte Spritzen benutzen.

Auf einem Mülleimer am Sielwalleck hockt eine müde Drogenabhängige. Lang werde sie da nicht sitzen bleiben können, sagt sie und schaut zu den Polizeibeamten hinüber. „Die Drobs hat jeder gebraucht – jetzt gibt es ja nicht mal mehr ein Klo.“ Das einzige öffentliche Klo in der Gegend ist jetzt die 50-Pfennig-Vollautomatikkabine 500 Meter weiter an der Weser. Die aber ist oft kaputt. Bleiben also nur noch die Büsche.