■ Der Auftrag der Bundeswehr wird ohne Debatte geändert
: Blauhelme im Plebiszit

Das Dilemma der SPD ist deutlich. Schwer tut sich die Partei mit Änderungen ihrer Grundsatzpositionen. Lockerer als bei anderen – die Grünen einmal ausgenommen – sitzt der Verratsvorwurf, ruinöser ist der Debattenprozeß, härter sind die Sanktionen für die Abweichler von der Generallinie, tiefer sitzt das Mißtrauen gegen „die da oben“. So ist denn auch zu verstehen, daß der neue Vorsitzende, der wie kein zweiter auf Korrektheit gegenüber der Parteietikette zu achten versteht, schnell die Notbremse zieht, wenn eine unbedachte Äußerung des außenpolitischen Sprechers Karsten Voigt, die Parteispitze habe sich bereits auf Kurskorrektur der Beschlußlage der Partei geeinigt, neue Turbulenzen verheißt. Gemach, signalisiert er, alles wird ordentlich, zügig und korrekt entschieden, spätestens bis September soll ein Vorschlag des Präsidiums für den Parteitag auf dem Tisch liegen. Und, um alle Restzweifel zu beseitigen, kündigt er über die Bild-Zeitung zu dieser Frge eine erneute Urwahl an.

Das klingt verheißungsvoll, doch wüßte man gern, wie die Frage aussieht, über die dann eine Urwahl stattfinden könnte. Es gibt nämlich Fragen, die sind gar keine. Und es gibt Antworten, die mehr in die Irre führen als klären. Laut Scharping in der Bild lauten die Alternativfragen, die zu entscheiden wären, etwa so: Soll die Bundeswehr „eine frei verfügbare Interventionsarmee werden oder sich an Kriegsführungen beteiligen“? (Möglichkeit a) Oder: „Sagen wir ja zu Blauhelm-Einsätzen mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben“? (Möglichkeit b)

So könnte die Frage aussehen, und so genau würde sie nichts beantworten, setzt sie doch im Teila rhetorisch-demagogisch eine Möglichkeit voraus, die niemand will außer ein paar Verrückten, und erheischt sie gerade im Teilb scheinbar und billig Zustimmung zu einer Position, die doch strittig zu entscheiden wäre. Was heißt denn „mit allen Konsequenzen“? Deutsche Soldaten, so Scharping ebenda, müßten doch auch das Recht haben, „ihren Auftrag und sich selbst zu verteidigen“. Richtig, aber darum geht es gar nicht. Es geht um die Veränderung des Auftrags. Damit sind wir am Kern des Problems und bei der längst überfälligen Debatte, die zu erzwingen Aufgabe einer bundesdeutschen Opposition wäre. Es geht um den neuen Auftrag der Bundeswehr innerhalb der neuen Rolle Deutschlands.

Nicht die Kleiderordnung nämlich wird geändert bei der derzeitigen Debatte, geändert wird der Auftrag der Bundeswehr selbst. Geändert wird ihr Selbstverständnis seit Bestehen der Bundesrepublik. „Wir haben keine anderen Ziele außer der Landesverteidigung“ – so lautete der Grundsatz der Bundeswehr seit der Wiederbewaffnung, der von allen Verantwortlichen der inneren Führung wie von allen Verteidigungsministern unangetastet blieb. Niemand verläßt diesen Grundsatz jetzt, um etwa eine „Interventionsarmee“ zu fordern oder um „mal wieder Krieg führen“ zu können. Das ist Unsinn. Die Gefährlichkeit der Entwicklung liegt gerade darin, daß die schleichende und öffentlich nicht diskutierte Veränderung des Auftrages der Bundeswehr im Gewande der höheren Moral, gar des gesunden Menschenverstandes, des „Wir dürfen uns doch nicht vor unseren Freunden blamieren“, daherkommt.

Warum ist das gefährlich? Weil man gerade mit diesen edlen oder so verständlichen Motiven in die schrille Zuspitzung der öffentlichen Meinung und die militärischen Manöver hineintrudelt, aus denen die großen tragischen Verwicklungen entstehen, wie die Geschichte zeigt. Sich diesem Sog zu entziehen ist schwer, Lorbeerkränze werden auf den diversen Feldern der Ehre und des Kampfsports veteilt, nicht auf dem Gebiet, wo man auf nichts so sehr achtet wie auf die Vermeidung von Hysterie und von falschen Alternativen. Eine Opposition, die etwas auf sich hält, braucht derzeit vor allem starke Nerven und das Gespür für die richtige Alternative. Wenn sie denn ihre Mitglieder etwas fragen will, die SPD, so soll sie die einzig richtige Frage stellen: „Soll sich der Auftrag der Bundeswehr, der uns über 40 Jahre aus militärischen Verwicklungen herausgehalten hat, ändern oder nicht?“ Antje Vollmer