Stadtmitte
: Den unbequemen Weg gehen!

■ Bei der Akademie der Künste mischen sich Beharrung West und Täter-Absolution

In dieser Woche steht im Abgeordnetenhaus die Entscheidung über die künftige Gestalt der Berlin-brandenburgischen Akademie der Künste an. Hinter der Alternative einer kollektiven Zuwahl des „erneuerten“ und verkleinerten Teils der Ostakademie in die Westakademie oder der Gründung einer neuen Akademie der Künste steckt ein grundsätzlicher Konflikt. Für einen Teil der Öffentlichkeit, der Künstler in West und Ost und auch der Abgeordneten ist die Übernahme des Ostteils der Akademie kein Problem mehr. Schließlich sei eine Erneuerung der Ostakademie erfolgt, man habe sich von eindeutig belasteten Personen getrennt und den früher herausgeworfenen und ausgetretenen Künstlern großzügig die Rückkehr angeboten. Gegen eine Neugründung wehren sich vor allem die Vertreter der Westakademie mit Händen und Füßen. Ihr Ruf sei unbefleckt, ihre Strukturen gewahrt, und jede Forderung nach Auflösung und Neugründung würde unzumutbaren politischen Dirigismus bedeuten. Ein anderer Teil der Öffentlichkeit, betroffene Künstler und zahlreiche Abgeordnete haben guten Grund, all diesen Beteuerungen nicht zu trauen. Die Ostberliner Akademie der Künste war nicht eine Einrichtung der schönen Musen, in welche die SED von außen hineinzuwirken versuchte. Bereits die Gründung der Akademie war mit strategisch-politischen Zielsetzungen der Partei verbunden und sollte das internationale Renommee der DDR aufbessern.

Mitgliederauswahl, inhaltliche Schwerpunkte und die Auslandsarbeit der Akademie wurden sorgsam nach politischen Kriterien abgestimmt. Immer neue Dokumente belegen diese Feinsteuerung. Viele Ostberliner Akademiemitglieder der ersten und zweiten Reihe haben ihren Anteil an solchen Praktiken scheinbar vergessen und sich für die Mitgliedschaft in der künftigen Akademie aufgespart. Bei ihrer Übernahme würden sie künftig über neue Mitgliedschaften entscheiden. Mitglieder der Westakademie, die sich nun entrüstet gegen Eingriffe von außen wehren, sind nicht bereit, die eigene Blindheit einzugestehen. Durch die Zusammenarbeit beider Akademien in der Vergangenheit, durch wechselseitige Mitgliedschaften und den Konferenztourismus wurde eine Normalität und die Aufwertung der Ostoffiziellen erzeugt, bei der die systemkritischen Künstler zu Störenfrieden wurden.

Ob der Staatsvertrag in seiner jetzigen Gestalt zustande kommt, hängt von Berlin ab; Brandenburg hat längst zugestimmt. Kein Wunder, denn im Berliner Umland feiern Altlasten und Seilschaften fröhliche Urständ, die Zahl der übernommenen Richter und Staatsanwälte ist nirgends so hoch wie in Brandenburg, und die dortige Politik der Sozialdemokraten steht für schonende Entsorgung der Vergangenheit.

Die parlamentarischen und außerparlamentarischen Fronten verlaufen nicht nur in Berlin quer zu diesem Streit. Auch bei der Initiative gegen eine Verjährungsfrist von politisch motivierten Vergehen in der DDR treffen sich Bürgerrechtler und Vertreter verschiedener Parteien und Bundesländer in gemeinsamer Verantwortung. Für die Akademiefrage und die Entscheidung, ob sich Verdrängung oder Aufarbeitung durchsetzt, wird aber das Signal in Berlin gesetzt.

Nun wird das Abgeordnetenhaus entscheiden. In mehreren Anhörungen trafen Gegner und Befürworter des Zusammenschlusses unversöhnlich aufeinander. In die Abgeordneten kam mindestens geringe Bewegung, die neuen Dokumentenfunde und die Schilderungen der Ausgegrenzten und der Kenner des Akademiebetriebes Ost machten deutlich, welche Hypothek die Übernahme bedeuten würde. Dennoch mochte sich für den Vorschlag einer Neugründung noch keine Mehrheit finden. Hier mischten sich Beharrung West, Besitzstandsdenken und eine Haltung, die plötzlich in den Tätern die Opfer sieht. Natürlich ist eine Neugründung unbequem, aber sie ist ein verantwortlicher Weg gegenüber einem faulen Kompromiß. Wolfgang Templin

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler war bis vor kurzem Mitglied im Bundesvorstand der Grünen.