Streit um Klopapier, nicht um Kapitalismus

■ TeilnehmerInnen internationaler Jugend-Workcamps wollen vor allem die Stadt und andere Leute kennenlernen / Politische Motive fehlten - bis die Neonazis kamen / Noch drei von zwölf Camps arbeiten

Nein, wie ein „grünes Klassenzimmer“ sieht das Gärtlein der 2. Grundschule Friedrichshain noch nicht aus. Aber eine Gruppe spanischer, französischer und deutscher Jugendlicher hat es dem ein gehöriges Stück nähergebracht. Sie legten einen Teich an, wo schütteres Grün zuvor den Trümmerboden kaum kaschieren konnte. Das Koordinatennetz aus Plattengehwegen und einem breiten Teerband drumherum haben die jungen Leute beseitigt. Vincent aus Montpellier, Belen aus Malaga, die Memmingerin Stefanie und die anderen gehören zu einem Workcamp der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD). Der deutsche Ableger des Vereins organisiert Begegnungen und gemeinnützige Arbeit für Jugendliche aus aller Welt. Interkulturelle Erziehung heißt die Idee, die in den Schützengräben des 1. Weltkriegs geboren wurde. Müde und abgestoßen von der Schlächterei, begannen junge Soldaten, gemeinnützige Aufbauarbeit über die Grenzen hinweg zu organisieren.

„Es gibt Probleme zwischen den Ländern“, meint der farbige Franzose David. „Mißverständnisse“ nennt sie der Pariser Gymnasiast, die sich leicht ausräumen ließen, wenn man nur miteinander diskutiere. Im Workcamp hat er Gelegenheit dazu. Beim gemeinsamen Kochen und Quatschen treten neue Einsichten zutage. Und die Streitpunkte verlagern sich. Weg von den großen Themen, hin zu den Alltagsproblemen. Keiner aus dem Workcamp will die Kiste Sprudelwasser in den 5. Stock schleppen. Auch Klopapier kaufen ist ziemlich unbeliebt. Die Konsumhaltung! klagt Svenja, eine Betreuerin. Alle wollen sie was geboten kriegen. Egal ob sie aus Spanien kommen oder aus Irkutsk.

Derzeit sind drei Camps in Berlin, den Sommer über waren es zwölf. Sie arbeiten an kleinen Projekten im Umweltschutz, richten städtische Anlagen her oder haben sich für drei Wochen der kulturhistorischen Arbeit verschrieben. Es gibt soziale Workcamps, in denen sich junge EuropäerInnen Benachteiligter annehmen. „Freien Raum schaffen“, so lautet das Grundmotiv der sozialen Gemeinschaftsdienste, „damit die Jungen ihre eigenen Vorstellungen von einer besseren Welt verwirklichen und Modelle einer zukünftigen Gesellschaft errichten können“. Das ist ein politischer Anspruch. In der Historie der deutschen Abteilung der Jugendgemeinschaftsdienste war er schon mal deutlicher formuliert. Die „Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ sei die gemeinsame Überzeugung der IJGDler, hieß es damals.

„Ich habe keine politischen Motive, nein“, kommt es fast barsch von der 19jährigen Stefanie zurück. Die Germanistik-Studentin aus dem französischen Montpellier möchte ihre Sprache verbessern und Leute kennenlernen. Und natürlich die Stadt. „Ich liebe Berlin, seine Atmosphäre.“ Belen, die 21jährige aus Malaga, wollte ein bißchen Zeit verbringen – „in a big town“. An der Stadt entzündet sich freilich die Aufmerksamkeit für soziale und politische Vorgänge. „Reunification – too much“ für Deutschland, konstatiert Belen trocken. Die Leute kämen da nicht mit.

Wie schnell die vermeintlich unpolitische Reise nach Deutschland sich wandeln kann, bekamen Workcamper im anhaltinischen Langenstein zu spüren. Das erste Kennenlernen der Spanier, Franzosen, Engländer, Italiener und Japaner auf einer Wiese beendete eine Truppe jugendlicher Rechtsausleger. „Ausländer raus!“ blökte eine Handvoll dörflicher Nachwuchsfaschos von ihren Mopeds herunter. Die internationalen Gäste zogen sich verstört zurück. Angst hätten sie nicht gehabt, meint die junge Britin Kate, „not really“. Aber sofort gab es eine Diskussion darüber, ob das Camp abgebrochen werden sollte. Eigentlich sollten sie in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Langenstein/Zwieberge Tafeln zur Erinnerung an den Todesmarsch aus dem Lager anbringen; nun diskutierten sie die akuten Ausläufer der Nazi-Ideologie.

David, der Farbige aus Paris, meint, es sei das gleiche wie bei ihnen in der banlieue, in den tristen Betonsiedlungen des Pariser Vorstadtrings. „Die Arbeitslosigkeit“, analysiert er, „nicht anders als in Frankreich“. Der Unterschied sei die Idee, das „Neonazi“ schickt er nachdenklich hinterher. Die deutschen Workcamper schweigen unterdessen betroffen. „Ich find' das einfach beschissen“, stößt Annette hilflos hervor. Die Medizin-Studentin aus Tübingen hatte bewußt die Gemeinschaftsarbeit an der KZ-Gedenkstätte gewählt, „weil in der letzten Zeit soviel von Rechtsradikalismus die Rede war“. Christian Füller