Ein Zitteraal in neuem Fahrwasser

■ Mario Vargas Llosa: Literat, Ex-Politiker, Selbstdarsteller... ...und neuerdings Besitzer eines spanischen Passes

Berlin (taz) – „Ein peruanischer Paß, ein südamerikanischer allgemein, ist heute, leider, sehr schlecht angesehen. Es ist sehr schwer, sich in der Welt zu bewegen und ein Visum zu erhalten.“ Derjenige, der diese Sätze spricht, hat das Glück, kein Asylbewerber, sondern ein ganz besonderer Emigrant zu sein. Entsprechend gewährte ihm der Spanier Felipe González – Präsident eines Landes, in dem peruanische TouristInnen auch schon mal unbegründet in Abschiebehaft genommen werden – natürlich gerne die Privilegien einer schnellen und unbürokratischen Behandlung.

Seit Juli ist es offiziell: Mario Vargas Llosa, Schriftsteller und gescheiterter peruanischer Präsidentschaftskandidat, bekommt diesmal, was er will: einen spanischen Paß. Kommentar gegenüber El Pais: „Dies wird nicht meinen Lebensstil ändern. Es ist einfach so, daß ich einen weitaus stabileren gesetzlichen Status haben werde als bisher.“ Schon seit vielen Jahren sei er freiwillig aus Peru exiliert und habe immer mit einem Bein in Europa gelebt.

Wenige Tage nach seiner überraschenden Wahlniederlage gegen Alberto Fujimori im Juni 1990 hatte Vargas Llosa frustriert und tief gekränkt Peru Richtung Europa verlassen und war zwischenzeitlich nur kurz zurückgekehrt. Gegenüber Fragen der internationalen Presse hatte der Literat in freimütiger Selbstkritik erklärt: „Wenn ich etwas gelernt habe, so ist das meine totale Unfähigkeit für die professionelle politische Tätigkeit und ein totales Fehlen von Berufung.“ Gleichzeitig blieb Vargas Llosa weiter Mitglied des konservativ-neoliberalen Bündnisses „Movimiento Libertad“ („Freiheitsbewegung“), mit dem er die Wahlen verloren hatte. Und gerade dies macht die Entscheidung des Kosmopoliten so pikant: „Wir sind erschüttert, auch weil er alles klammheimlich gemacht hat“, klagte Ricardo Vega Llona, einer seiner Mitstreiter in Lima. Manuel d'Ornellas, Herausgeber der peruanischen Zeitung Expreso, urteilte in einem Leitartikel, Vargas Llosa habe „politischen Selbstmord“ begangen. Seit Bekanntgabe des „Vaterlandsverrates“ Vargas Llosas gibt es massenweise Austritte aus dem „Movimiento Libertad“.

Der Weg zum Staatsfeind Nummer eins

Mit Liebesentzug hatte ein großer Teil der peruanischen Presse und des rechten Establishments allerdings schon seit längerer Zeit Äußerungen des prominenten Enfant terrible quittiert. Vargas Llosa hatte Fujimoris „Putsch von oben“ im April vergangenen Jahres als „Rückkehr zur Barbarei“ gegeißelt und das Ausland dazu aufgerufen, sämtliche Wirtschaftshilfe einzustellen und die diplomatischen Beziehungen zu Peru abzubrechen. Daraufhin von seinem alten Rivalen zum „Antipatrioten“ und Staatsfeind Nummer eins erklärt, erreichte Vargas Llosa es im April dieses Jahres, sich auch bei neoliberalen Weggefährten unbeliebt zu machen: Der Schriftsteller, der sich nach eigenen Aussagen in der Politik „wie ein Fisch auf dem Trockenen“ gefühlt hatte und froh war, zur Literatur zurückzukehren, veröffentlichte das autobiographische Werk „Der Fisch im Wasser“. Die Reaktion in Peru war tatsächlich, als habe ein Zitteraal Stromstöße ausgeteilt: Hernando de Soto, Gründer des „Movimiento Libertad“ und Autor des neoliberalen Standardwerkes „Der andere Weg“, ereiferte sich in einer Fernsehsendung so sehr, daß die Live-Übertragung abgebrochen wurde. De Soto hatte tatsächlich Grund, pikiert zu sein, war er doch von Vargas Llosa als „pompös und lächerlich“ charakterisiert worden. Der Beleidigte konterte, das einzige, was Vargas Llosa im Ausland mache, sei, „gegen den Namen seines Landes zu kämpfen, und dies immer zum eigenen Nutzen“. Anfang der siebziger Jahre brach Vargas Llosa, bekannt geworden durch den antimilitaristischen Roman „Die Stadt und die Hunde“, mit dem Sozialismus kubanischer Prägung – und mit alten Freunden wie dem Schriftsteller Gabriel Garcia Márquez, den er als „Höfling Fidel Castros“ beschimpfte. In der Folgezeit entwickelte Vargas Llosa sich ideologisch immer weiter nach rechts. In den achtziger Jahren bewunderte er Margaret Thatcher als „ökonomische Revolutionärin“. Gleichzeitig blieb er durch seine sexuell freizügigen Romane konservativen Moralisten ein Dorn im Auge.

Ist Vargas Llosa also ein Opportunist, oder sind die Häutungen, die er von Zeit zu Zeit vor den Augen eines internationalen Publikums vollzieht, Ausdruck einer konsequenten Suche nach „Wahrheit“, wie er selbst immer wieder versichert? Der spanischen Schriftstellerin Rosa Montero eröffnete er letztes Jahr: „Ich lüge nur, wenn ich Romane schreibe.“ – Vargas Llosas Gattin Patricia ist der Meinung, in seinem Ausflug in die Politik habe es „die Illusion gegeben, ein Abenteuer zu leben, den großen Roman im realen Leben zu schreiben“. Bettina Bremme