■ Auf zum letzten Gefecht!
: Wo bleibt die RAF-Initiative?

Mag sein, daß die fachgerechte Zerstörung des Gefängnisneubaus in Weiterstadt an vollautonomen Stammtischen ein paar Punkte brachte (wenngleich die zweifelhaften Verdienste des Verfassungsschutzes in Gestalt eines gewissen Klaus die Schadenfreude trüben dürfte). Mag sein, daß der bislang ungeklärte Tod von Wolfgang Grams Mitleid mobilisierte. Doch kann dies über eines nicht hinwegtäuschen: Das Unternehmen Stadtguerilla ist definitiv gescheitert. Jener versprengte Haufen, an dessen Selbststilisierung als „Rote Armee Fraktion“ wir uns gewöhnt haben, ist seit mindestens 15 Jahren politisch-moralisch am Ende. Heute kann die R.A.F. diesem Staat nur noch einen einzigen fürchterlichen Schlag versetzen: indem sie unverzüglich ihre Selbstauflösung erklärt.

Wenn Tatkraft und Elan, Mut und Perspektive erschöpft sind, hat jede Bürgerinitiative, jeder Kleingartenverein das unveräußerliche Recht, sich und andere von einer quälenden Scheinexistenz zu erlösen. So wollen wir denn die Ausübung dieses Rechts dem flüchtigen Verein namens „Rote Armee Fraktion“ ans Herz legen.

Die (Vor-)Geschichte der R.A.F. ist geschrieben. Etwa in Peter Brückners Schrift „Ulrike Marie Meinhof und die deutschen Verhältnisse“ aus dem Jahre 1976 oder in Pieter Bakker Schuts Monographie über den Stammheim- Prozeß von 1986. Es fehlt auch nicht an Versuchen, wenigstens dem Scheitern der R.A.F. eine „historische Bedeutung“ abzuringen (so Karl-Heinz Roth in einem Aufsatz von 1980). Um indes die wachsende Bodenlosigkeit des Desasters zu beleuchten, ist es nützlich, die sonderbare Namensgebung ins Gedächtnis zu rufen.

Rot? In der Gründungsurkunde des bewaffneten Vereins, der 1971 im Wagenbach Verlag veröffentlichten Schrift „Das Konzept Stadtguerilla“, ist mal kühl, mal pathetisch vom Imperialismus, dem Proletariat und seiner Avantgarde, von Klassenanalyse, Mao Tse Tung und so fort die Rede. Ein linkes Projekt also – mit knallhartem leninistischem Einschlag. Von wegen Anarchisten.

Armee? Da haben wir den Kern der Sache – denn bewaffnet mußte der Kampf schon sein, und eben nicht bloß als Randgruppenarbeit oder als Häuserkampf vonstatten gehen. Ulrike Meinhof, der wesentliche Teile des „Konzepts Stadtguerilla“ zugeschrieben werden, hat den „Primat der Praxis“ klar formuliert: Die Frage, ob es richtig sei, hier und heute den bewaffneten Widerstand zu organisieren, könne nicht durch endlose Diskussionen geklärt, sondern nur praktisch ermittelt werden. Folglich wurde nicht weniger als die Gründung einer „Armee“ ausgerufen.

Fraktion? Der fraglos banalste Bestandteil des Vereinsnamens zählte zu den Allgemeinplätzen der politischen Sprache der 68er – als Inbegriff der Abspaltung und Fraktionierung, der Entmischung einer schillernden Revolte. Das Geniale aber, das Elektrisierende dieser Namensgebung schoß in der Kombination „Rote Armee“ zusammen. Im Land der Naziväter sollte diese phantastische Armee zum Horror werden. Schließlich besaß die führende Generation des besinnungslosen Wiederaufbaus nicht bloß ein solides antibolschewistisches Feindbild, sondern hatte gegen eine wirkliche Rote Armee einen wirklichen Krieg verloren – und sah sich auf dem Territorium der DDR mit eben dieser Armee aktuell konfrontiert. Es gab seinerzeit viele Möglichkeiten, so etwas wie westdeutsche Tupamaros aus der Taufe zu heben. „Rote Armee“ aber – das signalisierte einen denkbar unversöhnlichen, tödlichen Kampf.

Rote Armee Fraktion. Zwischen dieser Gründung und der Gegenwart steht eine sattsam bekannte Kette von Schlag und Gegenschlag, von revolutionärem Terror und überschießendem staatlichen Gewaltmonopol. Ein „deutscher Herbst“ ging ins Land, Isolationshaft und Hungerstreiks. Wer nicht den Tod fand, sitzt noch heute oder wurde in eine bürgerliche Existenz entlassen. Oder suchte mit Hilfe der ostdeutschen Staatssicherheit eine neue Heimat.

Unterdessen verdampft der bewaffnete Kampf im Surrealen. Ein Kommando XYZ der R.A.F. hat Zimmermann, Beckurts, Herrhausen, Rohwedder getötet? Man reibt sich die Augen und rätselt beklommen, warum diese Armee noch immer durchs Land geistert – als Gespenst, das nicht einmal mehr Grund zu spuken hat. Die einst als Richtmaß beschworene Praxis – sie hat ein wahrlich niederschmetterndes Urteil gefällt. Eine Ahnung davon muß bis in die Tristesse der konspirativen Wohnungen gedrungen sein. Seit dem Waffenstillstandsangebot vom April 1992 haben wir es, wenn auch mit rührender Widerstandsprosa verklärt, schwarz auf weiß: Unseren grandiosen bewaffneten Kämpfern ist der Sinn abhanden gekommen.

Von Bad Kleinen fällt nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die Apparate der „inneren Sicherheit“. Die larmoyante, heuchlerische Klage über die „Killfahndung“ von BKA und GSG 9 im jüngsten Schreiben der R.A.F. ist frappant (vgl. taz vom 10.7.93). Als könne niemand sich der „Hinrichtung“ des „Geheimdiplomaten“ Gerold von Braunmühl, niemand sich des Genickschusses gegen Hanns-Martin Schleyer erinnern. Was für ein jämmerlicher Fortschritt, daß sich unsere bewaffneten Maulhelden neuerdings maßvoll zeigen und, anstatt „Rache für Wolfgang“ zu geloben, sich ins Nebulöse einer „neuen Ausgangsbedingung“ schwafeln! Nein, es hilft alles nichts: Das Phantasma namens Rote Armee Fraktion muß sich selbst auflösen. Unverzüglich und bedingungslos.

Wie das?, höre ich sagen. Ist nicht der Staat am Zuge? Muß nicht die Kinkel-Initiative wiederbelebt werden? Zweifellos dürfen wir die staatliche Seite nicht aus der Pflicht entlassen. Zur „Versöhnung“ indes gehören zwei. Und von Leuten, die aus edlen politischen Motiven einst die Waffe erhoben, darf man erwarten, daß sie nach dem definitiven Scheitern ihres Unterfangens bereit sind, das Ihre zur Befriedung beizusteuern. Noch ist Zeit dafür: Der beherzte Ausstieg aus dem bewaffneten Unfug, der heute Respekt abverlangt, wird morgen niemanden mehr interessieren. Längst haben Attentäter ganz anderen Kalibers die R.A.F. in den Schatten gestellt.

Nicht auszudenken, welche Sinnkrise bei Verfassungsschutz und BKA ausbräche, machte die Restliche Armee Fraktion mit einem solchen, im schönsten Wortsinn entwaffnenden Akt der Selbstbefreiung endlich ernst. Von den Chancen, die sich dann für die noch immer einsitzenden Gefangenen eröffneten, ganz zu schweigen. „23 Jahre haben gezeigt, daß weder die RAF noch Widerstand überhaupt militärisch auszulöschen sind“, lesen wir am Ende des letzten Pamphlets. Vortrefflich! Zum Schießen!, möchte man sagen, wäre die bewaffnete Farce nicht immer noch für blutige Exzesse gut. Nein, es hilft alles nichts: Die „Rote Armee Fraktion“ muß diesem Staat endlich den finalen Schlag versetzen. Wer seine Lage erkannt hat, wie sollte der aufzuhalten sein? Horst Meier

Jurist, lebt in Hamburg