Die Stadt auf den 140 Höhen

■ Endlich: Ein Bergführer durchdringt die Historie von Berg und Tal in Berlin

Auch die deutsche Hauptstadt hat ihre Bergwelt. Rom breitete sich dereinst auf sieben Hügeln aus, Berlin entstand auf etwa 140 Anhöhen, wenn man die im Laufe der Geschichte eingeebneten mit hinzurechnet. Alpenhöhen erreicht wahrlich keine von ihnen: Um die Spitze konkurrieren der Große Müggelberg und der Teufelsberg, die mit 115 und 114,7 Metern vermessen wurden.

Professionelle Stadtführer nahmen sich vor, endlich einem breiteren Publikum Übersicht über die Berliner Höhen zu ermöglichen. Mit erfahrenen Bergspezialisten verfaßten sie quasi einen Bergführer durch die Hauptstadt, der mit einem Augenzwinkern einiges über Historie und Gegenwart von Berg und Tal in Berlin liefert. Das Recherche-Ergebnis – „Berliner Bergtouren“ (Elefanten Press) – wird demnächst als Anleitung für Flachlandtiroler vorliegen.

Bezeichnungen wie Weinstraße, Weinbergsweg, Weingartenweg, Winzerstraße oder Küfersteig lassen heute noch ahnen, daß Berliner Berge früher sehr edlen Zwecken dienten. Autor Winfried Morgenstern bestätigt das: Mönche und Weinbauern kultivierten bis zu einem großen Kälteeinbruch im Jahr 1740 Wein. „Der Besitz eines Weinberges war Statussymbol.“ Als Beispiel nennt er Generalfeldmarschall Georg Freiherr von Derfflinger (1606–1695), der mit seinem militärischen Erfolg gegen die Schweden bei Fehrbellin in die Geschichte einging. Der Freiherr betrieb nebenbei seinen Weinbau an der heutigen Landsberger Allee im Friedrichshain.

Bekannter aber ist der Kreuzberg für die Weinproduktion, die nach über 200jähriger Unterbrechung 1968 in bescheidenem Umfang wieder begann. Etwa 400 Flaschen „Kreuz-Neroberger“ im Jahr soll die Ernte hergeben. Zu besonderen Anlässen wird er im Rathaus kredenzt. Daneben gibt es, gewissermaßen als eine Art Konkurrenz, heute auch die „Wilmersdorfer Rheingauperle“, ebenfalls ein Riesling, von dem gelegentlich einige Flaschen auf Volksfesten versteigert werden. Die Hauptstadt bietet aber auch Zeugnisse dafür, daß Berliner Berge versetzen können. Davon lebte auch eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im vorigen Jahrhundert, bei der Sandabbau und -transport als Notstandsarbeiten verordnet wurden. Besonders stark wurde in der Gründerzeit abgetragen, planiert und überbaut. So entstanden das alte und neue Hansaviertel auf Gatower Bergboden. Im Laufe der Jahrhunderte wurden Berge immer flacher, manche verschwanden ganz, und von einigen blieb gar nur ein großes Loch übrig: Der märkische Sand, aus dem die Anhöhen bestanden, wurde als Baustoff gebraucht, erläutert Morgenstern.

Dafür seien nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Art „Naturrecycling“ Trümmer und Schutt zu neuen Bergen gehäuft worden, 35 an der Zahl. Besonders eng war es im Westteil während der Blockadezeit bis 1951. 42 Millionen Kubikmeter Trümmer konnten nicht außerhalb der Stadt entsorgt werden. Das Ergebnis waren neue Anhöhen in allen Bezirken. Wo sich heute manch hübsche Parkanlage auf einem Hügel erstreckt, könnten Grabungen auch Müll als „Unterbau“ zutage fördern.

Im Auf und Ab der Geschichte konnten die Berliner Anhöhen auch der Aufmerksamkeit der Militärs nicht entgehen: Den Uniformträgern schienen sie geradezu ideal für Übungsplätze, Schießstände und Verteidigungslinien. Im Schutze der rauhen Berge formierte Ferdinand von Schill sein Regiment, das er dann gegen Napoleon führte.

Heute geht es auf den Bergen Berlins weitgehend friedlich zu. Die mit Wald und Grün bedeckten Hänge sind vorwiegend Ausflüglern und Wanderern vorbehalten. Besondere Attraktion aber ist die Kletterwand am Teufelsberg, ein wahres Paradies für die rund 4.000 Berliner Alpinisten. Auf 50 verschiedenen Routen aller Schwierigkeitsgrade können sie schon mal für die richtigen Alpen trainieren. Michael Graeme/dpa