Versorgen statt verstauen

Entwürfe für Flüchtlings- und Integrationswohnbau in Wien  ■ Von Stella Rollig

Soziale Probleme laborieren meist an dem Problem ihrer eigenen Sichtbarkeit. Manchmal sind daher drastische Signale vonnöten, um die Öffentlichkeit an ungelöste kommunale Aufgaben zu erinnern. Denn aus politischen Gründen neigen die zuständigen Behörden dazu, die neuralgischen Verwaltungsprojekte eher durch schlechte als rechte Lösungen schnellstmöglich aus dem Blick des Publikums zu entfernen. Wo sind die derzeit in Wien als Flüchtlinge registrierten 13.000 Bürger des ehemaligen Jugoslawien? In Heimen und Notquartieren, zum Teil außerhalb der Stadtgrenze wie etwa im hoffnungslos überbelegten Flüchtlingslager Traiskirchen. Verstaut, nicht versorgt.

Für ein unübersehbares Zeichen sorgten die Initiatoren der „Ideen-Börse SOS Aufbau-Wohnen“. Am Wiener Karlsplatz, den täglich 70.000 Autos passieren, bauten sie gleich neben dem Jugendstilbau der Wiener Secession ein zweigeschossiges Gebäude aus rot lackierten Containern auf, einen Vorschlag der Architektengruppe Gerngroß/Hüller/Schwan für eine Flüchtlingsunterkunft.

Im Frühsommer hatten der Architekt Norbert Tischler und die Gruppe „6B“ dazu aufgerufen, Vorschläge für eine menschenwürdige, integrative und wirtschaftlich realistische Flüchtlingsunterbringung zu machen. Ihr Projektname lehnt sich an „SOS Mitmensch“ an, eine Aktionsgemeinschaft, die sich anläßlich des von der FPÖ im Januar durchgeführten „Anti-Ausländer“-Volksbegehrens formiert hatte. Prominente Mitglieder dieser „Plattform gegen Fremdenhaß“, wie etwa Caritas-Präsident Helmut Schüller, übernahmen die Patenschaft für die Architekteninitiative. Mit der Hochschule für angewandte Kunst als Stützpunkt und der Secession als Schauplatz der Ergebnispräsentation hatte man zentrale Institutionen gewählt, die eine entsprechende Publizität des Projektes garantierten, das nun als Wanderausstellung in den übrigen österreichischen Bundesländern und im nächsten Jahr voraussichtlich auch in Deutschland gezeigt wird.

Das rote „Schnellhaus“ nun, das sogar mit kleinen Terrassen ausgestattet ist, besteht aus insgesamt zehn Baucontainern mit eingearbeiteten Glaswänden, Holzdecken, Balkenböden und Wendeltreppen. Seine Errichtungskosten liegen nach Auskunft seiner Entwerfer bei nur 4.500 Schilling pro Quadratmeter (ca. 640 DM).

Bis zu Projektbeginn lagen über siebzig Beiträge vor, von bloß verbal formulierten Absichtserklärungen bis zur perfekten Computeranimation. Unter den seriösen Ideen findet sich dabei auffallend oft der Container als Ausgangspunkt, das Zelt unserer Tage. Argumente für den Container sind seine geringen Kosten, seine Transportier-, Stapelbar- und Addierbarkeit. Eine ganze Reihe verwandter Vorschläge und Modelle stützt sich auf Fertigteile, nicht nur in Hinblick auf rasches serielles Bauen, sondern auch auf Flexibilität. Beim „3S“-System des Artec- Teams beispielsweise soll eine rohe Struktur aus industriell vorgefertigten, mehrschichtigen Vollholzplatten den Bewohnern zum eigenen Weiterbau übergeben werden – eine Variation der Grundidee Blockhaus. Die Baubeteiligung der zukünftigen Nutzer ist eines der durchgängigen Themen; mehrfach wurde auf die Eigeninitiative der Wiener Siedlerbewegung nach dem Ersten Weltkrieg verwiesen. Peter Mutewskys Vorschlag „Flüchtlinge sanieren Häuser, die keiner will“ ist keineswegs zynisch zu verstehen.

Naheliegendes findet sich unter den Projekten ebenso wie Utopisches, pragmatisch orientierte Lösungen neben politischen wie etwa Anton Szedonjas provokante Containersiedlung für den berüchtigten Heldenplatz. Umzuwidmende Gewerbegebiete am Stadtrand werden als Bauplätze gefordert, ebenso wie mißachtete urbane Nischen: Baulücken zum Beispiel, aber auch der Raum unter Hochstraßen. Edwin Piskerniks Argument für diesen ungewöhnlichen Vorschlag: unter der Straße sei die Luft allemal besser als daneben.

Gängigen Massenquartieren hat der „SOS-Aufbau“ zumindest das Angebot von Privaträumen voraus: Respekt für die Familieneinheit. Schade, daß notwendige kurzfristige Übergangslösungen und die Vorstellung von nicht integrierten (und darunter versteht man: nicht erwerbstätige) Menschen dominieren. Allgemeingültige Ideen für ein neues soziales Bauen, das ja keineswegs nur für Flüchtlinge gefordert ist, sind unterrepräsentiert. Zwangsläufig kommt damit die Integration der unterzubringenden Flüchtlinge zu kurz, von denen man nicht weiß, sie selbst meistens auch nicht, ob sie nicht als Zuwanderer bleiben werden. Dringend gebraucht würde ein neues Denken bei der Wohnraumschaffung, das freiwillige Mobilität ebenso berücksichtigt wie erzwungene, das erschwingliches Wohnen nicht nur als Wohlstandsspende, almosenhaft, für ausgegrenzte Minderheiten bereitstellt, sondern ebenso für Studenten, Singles, alleinstehende Mütter, integrierte Gastarbeiter, Jungfamilien, die immer größer werdenden Gruppen der priviledged poor – der einkommensschwachen Kulturschaffenden, der Langzeitarbeitslosen etc.

Die Organisatoren von „SOS Aufbau-Wohnen“ konnten sowohl das Bundesministerium für Inneres und den Wiener Integrationsfonds als auch Vertreter der Bauwirtschaft für ihre Sache interessieren – Ergebnisse werden sich erst im Lauf des Herbstes herausstellen. Für ein anderes Zusammenleben mit Flüchtlingen, Zuwanderern und sozial Benachteiligten wäre allerdings ein tiefgreifender Struktureingriff notwendig. Müßte der Gesetzgeber nicht erwägen, die Bauwirtschaft bei jedem frei finanzierten Wohnbau zur Bereitstellung eines prozentuellen Anteils an erschwinglichem Wohnraum für Einkommensschwache zu zwingen? Solche Strategien werden wir à la longue dringender brauchen als gestapelte Container.

Der Katalog mit den bisherigen Projekten (250 öS) sowie weitere Informationen bei:

SOS Aufbau-Wohnen, Oskar-Kokoschka-Platz 2, A-1010 Wien