Der Bürgermeister ist den Wählern böse

Hamburgs WählerInnen erregen den Unmut ihres SPD-Bürgermeisters / CDU und FDP zeigen Auflösungserscheinungen / Wirtschaft warnt vor Rot-Grün  ■ Aus Hamburg Florian Marten

„Was sich die Wähler und Wählerinnen einbrocken, müssen sie selbst auslöffeln.“ Schon im Wahlkampf hatte Hamburgs SPD-Bürgermeister Henning Voscherau die Hauptfeinde seiner Regierungskunst klar identifziert. Jetzt ist er auf sie richtig sauer: „Die Wähler haben uns schwierige Koalitionsverhandlungen verordnet.“ Für Voscherau ist das keine Medizin, sondern pure Undankbarkeit. „Ich habe“, so betonte er nach dem Wahldesaster unentwegt, „meine Sache ordentlich gemacht.“ Eine erneute absolute SPD-Mehrheit der Sitze hätte er als gerecht empfunden, ein Ergebnis von deutlich über 40 Prozent als Mindestlohn.

1988 durch Dohnanyis Rücktritt zum Stadtchef aufgestiegen und 1991 mit 48 Prozent strahlender Sieger, erlebte die bislang so glatte Karriere des Dr. Henning Voscherau am Sonntag eine schmerzhafte Delle. Geschockt von dem Wahlergebnis zog er sich zunächst stundenlang in sein Zimmer zurück. Mehrfach war der politische Neffe von Altkanzler Helmut Schmidt versucht, den Krempel einfach hinzuschmeißen. Dann, Stunden später als alle anderen Spitzenpolitiker, raffte sich der Notar und Hockey-Spieler doch noch auf – Flucht nach vorn, vor die Fernsehkameras. Der politische Freund Rudolf Scharpings schob das Wahldesaster den Medien und den – verführten – WählerInnen in die Schuhe. Schuld bei sich selber sieht er nicht. Dabei hatte er, wie Kritiker aus der eigenen Partei anmerken, doch fünf Jahre Hamburger Wirtschaftswunder und zwei Jahre absolute Mehrheit, um der Stadt zu zeigen, was eine sozialdemokratische Harke ist.

Die SPD fast unter 40 Prozent, die Reps fast im Parlament, die Rot-Grüne Koalition schon fast unausweichlich: Voscherau empfindet das Wahlergebnis als stadtpolitischen Beinahe-GAU. Rot- Grün ist für ihn ein Trauma. Er sieht die Grünen als Ergebnis „der Wohlstandsgesellschaft der 80er Jahre“, mit der man die „Ängste der kleinen Leute um die Ecke“ nicht besänftigen könne. Seine Antwort auf die politische Krise wäre stattdessen „hartes Durchgreifen und Handeln“, eine sozialdemokratische Law-and-Order- Politik, die sich mit Abschieben, Polizeipräsenz, knallharter Wirtschaftspolitik und dem Erhalt sozialer Mindeststandards dem entfleuchten Nazi-Wähler in den Arbeiterstadtteilen und den SPD-Beton-Ghettos der bauwütigen 60er und 70er Jahre an die Fersen heftet. Voscherau fahndete deshalb verzweifelt nach Strohhalmen, die ihm einen rot-grünen Canossa- Gang ersparen: CDU-Rebell Markus Wegner und seine programmlose Statt Partei könnten eine SPD-Minderheitsregierung dulden, sogar eine Große Koalition, von Voscherau einst kategorisch abgelehnt – „wir dürfen diejenigen, die uns diese Wahl eingebrockt haben, nicht noch prämieren“, scheint ihm jetzt verlockend.

Der einflußreiche Handelskammerchef Klaus Asche (Holsten- Brauerei) soufflierte schon mal vorsorglich: „Rot-Grün wäre ein Rückschlag für die Stadt.“ Shooting-Star Markus Wegner hört diese Töne gern. Das neue Mittelstandsidol, eine Mischung aus Michel Kohlhaas und Yuppie, der mit überraschend prall gefüllten Kassen einen aufwendigen Wahlkampf betrieb, wird eine SPD-Regierung tolerieren, wenn sie ein paar parteilose Senatoren beruft und der Statt Partei einige programmatische Geschenke macht.

Die CDU hat sich von ihrem existenzgefährdenden Einbruch noch nicht erholt. Ihr droht jetzt eine kleine Palastrevolution, welche die alte Garde mitsamt dem farblosen Spitzenkandidaten Dirk Fischer hinwegfegt. Der Mißerfolg der CDU ist – wie auch das parlamentarische Aus der FDP – auch ein Mißerfolg der überaus blassen SpitzenkandidatInnen und ihres einfallslosen Wahlkampfs. Meinungsumfragen zeigen freilich, daß Rot-Grün als neue Regierungskonstellation von den WählerInnen deutlich favorisiert wird, von SPD-WählerInnen sogar mit weit über 50 Prozent. Auch in der SPD haben deshalb die bislang schweigsamen Rot-Grün-Befürworter Oberwasser bekommen. Vorstöße Voscheraus für ein Zusammengehen mit der CDU oder Statt Partei werden deshalb von SPD-Insidern kaum Chancen eingeräumt. Wie schon im Wahlkampf brillierten die Grünen auch in der Wahlnacht: Die Spitzenkandidatin Krista Sager vermittelt jene Mischung aus Biederkeit, Zuverlässigkeit und Engagement, die den Grünen erstmals jene Erfolge bei den Senioren verschafften, ohne die zweistellige Wahlergebnisse nicht möglich sind: Die über 60jährigen stellen in Hamburg immerhin 40 Prozent der Aktiven an der Wahlurne und sind zu zwei Dritteln weiblich. Selbstbewußt, kompetent und mit Verständnis für die Schwierigkeiten der Hamburger SPD, Macht zu teilen und sich zu erneuern, haben sie sich bereits gründlich auf Koalitionsverhandlungen vorbereitet. Verkehr, Stadtentwicklung, Bauen, Wissenschaft und Hochschule führen derzeit die Hitliste der grünen Revierwünsche an.

Voscherau schwant Übles. Schon vor der Wahl gestand er der taz: „Ich fürchte die Situation, wo mir meine Partei ein Verhandlungsergebnis mit den Grünen zumutet, welches ich eigentlich nicht vertreten kann.