Das Kabel am Anfang der Welt

„Tele Echtershausen“ – Ein Dorf in der Südeifel macht sein eigenes Fernsehen  ■ Von Bertram Job

Daß die große Parabolschüssel am Giebel des Gemeindehauses das Dorf verschönert hat, will in Echtershausen ja niemand behaupten. Überdeutlich, klobig und von der Höhe her fast eine Konkurrenz zur Turmspitze der nahe gelegenen Kapelle, prangt die neue Anschaffung als ein Fremdkörper am alten Gemäuer. Trotzdem ist das Gerät für die 140 Seelen in dem Dorf zwischen zwei Hügeln der Südeifel, zehn Kilometer von Bitburg an einer Sackgasse gelegen, so etwas wie ein kollektiver Triumph. Und wer von den romantisch veranlagten Sommergästen daran Anstoß nehmen mag, hat für Werner Kootz vielleicht selbst ein Problem. Denn „wir sind hier nicht am Ende der Welt, sondern am Anfang“.

Es ist Montag abend um 19.20 Uhr, als Kootz seinem 7er-BMW mit Autotelefon gleich in vierfacher Mission entsteigt. Als Bürgermeister sowie als Programmdirektor, Regisseur und Moderator eilt der alerte Mann von Anfang Vierzig zum Sitz von Freiwilliger Feuerwehr und Gemeinderat, um Deutschlands kleinstem Fernsehsender zu einem weiteren Beitrag zu verhelfen. Wer nämlich ein Breitband-Kabelnetz hat, kann nicht nur die Programme der diversen Fernsehkanäle plötzlich schneefrei empfangen – er kann auch selber senden. Und das ist schon die ganze Idee hinter „Tele Echtershausen“.

Vor gut einer Stunde erst hat Kootz' jüngster Sohn die computerausgedruckte Ankündigung von dessen Ansprache durch die 30 Briefkästen des Dorfes geworfen. Nun sind es noch zehn Minuten bis zum Sendebeginn, das bedeutet unter diesen Umständen genügend Vorbereitungszeit. Ein paar Handgriffe, schon hat der Bürgermeister das Gemeinderats-Hufeisen aus wenigen Tischen zurückgeschoben bis auf den einen, hinter dem er nun als Moderator zu sitzen kommt. Ihm folgt mit blutbespritztem Kittel Günter Reiter, Metzgergeselle und Kameramann. Hastig und schnaufend hantiert der Mann in den Gummistiefeln, der seine Arbeit für die Sendung nur unterbrochen hat, an Kamera, Stativ und Kabeln. Dann steht das Bild mit Dorfwappen, weißer Wand und Bürgermeisterbüste, und Reiter kann wieder zur Hausschlachtung nach nebenan. Es ist genau 19.30 Uhr.

Knapp vierzig Minuten spricht Werner Kootz von dem Brief der Landesanstalt für Presse und Rundfunk, der den „Iatschenern“ (= Echtershausenern) ihren Sender unter Androhung von 500.000 Mark Ordnungsstrafe verbieten wollte. Spricht von der Lizenz und dem Sendebuch, die man beim Besuch der Herren vor Ort schließlich doch erhalten habe, sowie von den drei Kameras, die bald zur Verfügung stünden. Jeder im Dorf, der etwas senden wolle, dürfe dies dann auf eigene Verantwortung und unzensiert tun. „Ich hoffe, daß davon reger Gebrauch gemacht wird“, schließt der Bürgermeister- Moderator und wartet minutenlang schweigend auf den Fleischergesellen-Kameramann. Aus dem Nachbarhaus aber dringt immer noch verzweifeltes Quieken.

Solche kleinen Fehler, sagt Kootz hinterher, sind bei „Tele Echtershausen“ verzeihlich. Auf eine Art steigern sie sogar die Authentizität. Gleich zur Premiere hatte er nur ein „den hon eich dahem“ geerntet, als er nach seiner einstündigen Ansprache auf den Film von der Altarweihe überleiten wollte (den hatte der Metzger zu Hause vergessen). Er konterte souverän mit „da loof alt!“. Was macht's denn auch, wo man ja unter sich ist.

Werner Kootz ist kein Freund von großem Geplänkel. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es den Offenen Kanal und noch so manches andere in Echtershausen überhaupt gibt. Seit einigen Jahren schon haben die „Iatschener“ unter dem modernen Management des zum erfolgreichen Wirtschaftsjuristen mutierten Bauernsohn die fälligen Renovierungen im Ort auf dem direktesten Wege vorangetrieben. Statt auf die immer dünner werdenden Zuwendungen der Verbandsgemeinde aus Bitburg zu warten, wurden die erforderlichen Arbeiten nach Feierabend selbst verrichtet. So erstanden Natursteinmauern und neue Bordsteine billig im Kollektiv. Als dann für neue Wasserleitungen Erde auszuheben war, wurde vom Dorfetat (jährlich etwa 100.000 DM) ein Bagger gekauft – und ein zweites Problem gleich mitgelöst.

Jahrzehntelang waren die Leute aus dem unteren Teil des Dorfes nach oben gepilgert, wenn im Fernsehen die Übertragung der Fastnachtszüge oder eines Fußball-Länderspiels anstand. Die ungünstige Tallage hatte einen akzeptablen Empfang der drei öffentlichen Programme meist unmöglich gemacht. Weil später aber auch die am Hang auf die mutmaßlichen Segnungen der Privatkanäle neugierig wurden, verlegte man nun zum neuen Wasserrohr ein zweites, kleineres gleich mit. Es enthält das gleiche Breitbandkabel, das auch die Telekom benutzt.

„Da haben wir uns gedacht, wenn wir nun über ein Netz verfügen, mit dem wir Signale empfangen können“, sagt Werner Kootz, „dann müßten wir eigentlich auch selber welche senden können. Und der Günter hatte ja auch schon seine Videokamera.“ So war drei Monate nach der Verkabelung die improvisierte Kooperation von Fleischergeselle und Bürgermeister sendereif.

Annähernd hundert Prozent Einschaltquote sind obligat, wenn Kootz zu einer seiner Live-Ansprachen ausholt oder der fünfköpfige Gemeinderat tagt. Da wird transparent, was ohnehin alle betrifft. Zusätzlich speist Günter Reiter dann und wann die aufgezeichneten Höhepunkte aus dem gesellschaftlichen Leben in das Kabelnetz ein.

Live im TV: Oberdorf kickt gegen Unterdorf

Die Einweihung der neuen Glocke im Jahre 1987 etwa, Hochzeiten, Kommunionsfeste und das alljährliche Fußballspiel zwischen Unterdorf und Oberdorf, rustikale Miniatur einer Oxford-gegen-Cambridge-Tradition. So etwas schlägt jedes Gewinnquiz auf RTL natürlich um Längen.

„Es sind ja immer welche dabei, die inzwischen schon auf dem Friedhof liegen“, erklärt die alteingesessene Wirtin Mathilde Hommertgen die Faszination. Allein bei der Glockenweihe waren es „fünf aus den ersten Bänken“. Aber auch die Lebenden haben sich seither schon wieder verändert. „Man kann richtig zusehen, wie die Zeit vergeht.“ Und kein Gesicht, das man nicht von irgendwoher kennt – da wird der Bildschirm zum Album, in dem man in virtueller Gemeinschaft „zusammen“ blättern kann.

Daß über dem Ganzen aber etwa die alte Holzbank vor dem Gemeindehaus – oder sonst ein öffentlicher Treffpunkt – in Zukunft unbesetzt bliebe, mag in Echtershausen niemand glauben. „Wir gucken im Schnitt nicht mehr als früher“, sagt Susanne Michels, die hier seit 40 Jahren alles Geschehen in artige Verse faßt. „Und in der Hauptsache sind es die ersten drei Programme. Das andere Zeug, das haben wir selten.“

„Tele Echtershausen“ seinerseits sendet ohnehin nur sporadisch. Und ob dies durch die Mitwirkung der ansässigen Empfänger einmal ganz anders wird, ist auch für Frau Michels noch fraglich, denn „so viel passiert ja nicht“. Werden also die künftigen Generationen von Eifeler Jugendlichen, die, anstatt abzuwandern, Dokumentarfilme und Drehbücher erstellen, die Vision eines allzu ambitionierten Dorfoberhauptes bleiben?

Monate später. Inzwischen sind die vagen Ansätze in „Iatschend“ ausgebaut worden. Die Landesmedienanstalt hat eine Sendeerlaubnis erteilt und stellte Schnittplatz und Kameras zur Verfügung. Es gibt Videoausbildungskurse für Interessierte, und Dorferzählerin Michels will eine Dokumentation drehen. Doch bei aller beginnenden Professionalisierung bleibt die Medienkritik hier einzigartig direkt: „Werner“, sagt einer am Tresen zum Bürgermeister-Moderator, der nach der Sendung wieder als Bauernsohn am Tresen einer der beiden Dorfkneipen steht, „hos gud geschwat!“