Rußlands Präsident läßt sich nicht wählen

■ Jelzin will bis Mandatsende 1996 amtieren

Moskau (AFP/AP) – Boris Jelzin fühlt sich sicher. Obwohl er im September vorgezogene Präsidentschaftswahlen angekündigt hatte, will er sich jetzt nicht zur Wahl stellen. Statt dessen kündigte er am Samstag an, er werde bis zum Ende seines Mandats 1996 im Amt bleiben. Russischen Journalisten sagt der 63jährige, er werde voraussichtlich nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren. Formell hob Jelzin das Dekret über die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen – das er auf Druck seiner Gegner erlassen hatte – jedoch nicht auf. Wiederholt hatte er betont, daß über den endgültigen Termin der Präsidentenwahlen das neugewählte Parlament entscheiden soll.

Zum ersten Mal äußerte Jelzin öffentlich, er sei der Politik müde. „Wir wissen alle, daß ich zu viele Schicksalsschläge erleiden mußte. Das ist mehr, als ein Mensch aushalten kann.“ Nach Einschätzung von Beobachtern ist es Jelzins letztes großes Ziel, Rußland eine neue Verfassung zu geben. Als „Vater“ der nachsowjetischen Verfassung Rußlands, sei er bereit abzutreten. Bei den Parlamentswahlen am 12. Dezember sollen die Russen auch über die Verfassung abstimmen. Bis 1996 will Jelzin einen Kandidaten für seine Nachfolge „finden und vorbereiten“. Er werde sich dafür einsetzen, daß dieser genügend Unterstützung in der Bevölkerung erhalte. Mitte September hatte Jelzin sich erstmals mit vorgezogenen Präsidentschaftswahlen einverstanden erklärt, um trotz der Auflösung des Parlaments seine demokratischen Absichten zu bekräftigen.

Ein Großaufgebot der Polizei hat am Sonntag in Moskau versucht, Demonstrationen zum 76. Jahrestag der Oktoberrevolution zu verhindern. Ungeachtet eines von den Behörden verhängten Kundgebungsverbots versuchten zwischen 300 und 500 MoskowiterInnen, sich am Denkmal Lenins in der Innenstadt zu versammeln. Sie wurden jedoch von Polizisten vertrieben und in eine U-Bahn-Station abgedrängt. Es kam zu Handgemengen und einigen Festnahmen. Zu dem Jahrestag, der in Rußland offiziell nicht mehr gefeiert wird, waren Einheiten der Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen nach Moskau verlegt worden. Seiten 8 und 10