„Täglich verhungern fünf Menschen“

■ Hilfsorganisationen starten Spendenaufruf für Bosnien / 50 Mark für ein Paket mit Lebensmitteln / „Europa darf seine Verantwortung für die Hungernden nicht abgeben“

„Wir fühlen uns wie in einem großen Konzentrationslager, wo wir uns frei bewegen können, aber verhungern.“ Ferida Meyer von der „Gesellschaft für Frieden und Hilfe in Bosnien-Herzegowina“ ist gerade aus Zentralbosnien zurückgekehrt. Dort verhungern und erfrieren die Menschen, die medizinische Versorgung steht vor dem Kollaps. 1,2 Millionen Menschen sind von serbischen und kroatisch- bosnischen Armeen eingekesselt und blicken einem harten Winter entgegen. „Seit Wochen ist kein Hilfstransport nach Tuzla durchgekommen“, sagt Ferida Meyer. „Die Stadt ist voller Flüchtlinge. Es gibt nur ein Krankenhaus für 1,2 Millionen Menschen, und das hat eine Viertelstunde am Tag Strom, weil es zuwenig Diesel gibt. Krebskranke Kinder liegen ohne Medikamente da und warten auf ihren Tod, geheizt werden können nur die Intensiv- und die Neugeborenenstation, die Ärzte haben nicht mal Kerzen als Lichtquellen und operieren wegen der Kälte in Skijacken.“

Eine „Brücke der Hoffnung“ soll den eingeschlossenen Bosniern jetzt auch von Bremen aus helfen. Mit Spendengeldern wollen die Initiatoren der Aktion, zu denen neben anderen das Hilfskommittee Cap Anamur, die Gesellschaft für bedrohte Völker und das Bremer Bosnien Komitee gehören, humanitäre Hilfe in die bisher kaum erreichbare Region schicken. Neben Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Zucker, Reis und Öl sollen vor allem Seife, Zahncreme, Kerzen und Streichhölzer ins winterliche Bosnien gebracht werden. Ein Paket kostet etwa fünfzig Mark, die von spendewilligen BremerInnen aufgebracht werden sollen. Die Pakete sollen dann unter dem Schutz von UNO und Auswärtigem Amt in die Städte Tuzla, Mostar und Sarajevo gebracht werden, wohin sich viele Flüchtlinge gerettet haben. Die Hilfsaktion steht unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Klaus Wedemeier und wird vom Einzelhandelsverband Nordsee in Bremen unterstützt.

„Wir wollen in Bremen zeigen, daß wir die Verantwortung nicht abgeben dürfen, wenn mitten in Europa hunderttausende von Menschen vom Verhungern bedroht sind“, sagte Marieluise Beck, grüne Bürgerschaftsabgeordnete und Mitglied im Bosnien-Komitee. „Wir wollen unbedingt nach Zentralbosnien, weil die Menschen dort dringend Hilfe brauchen, aber auch, weil wir zeigen wollen, daß wir das Gebiet für Hilfe nicht abschreiben.“ Bisher forderten die kroatischen Truppen, die Zentralbosnien einschließen für jeden durchgelassenen Konvoi selber eine Sendung von den Hilfsorganisationen. „Die Bundesregierung und die UNO müssen Druck auf Kroatien machen, daß die Wege freigegeben werden“, forderte Beck.

„Die Lebensmittellager in Kroatien für die Konvois nach Bosnien sind voll“, bestätigte auch Ferida Meyer. Doch die Konvois stauen sich an der Grenze. Inzwischen wird die Lage in Zentralbosnien immer verzweifelter: „In Tuzla ist die Fernwärme ausgefallen und die ganze Stadt ist dunkel. Auf der Müllkippe der UN- Truppen gibt es nur Papier und Plastik, weil die Hungernden alle Essensreste zusammensuchen und sofort aufessen. Täglich verhungern in Tuzla fünf Menschen.“ Noch leben in Tuzla Serben, Kroaten und Muslime gemeinsam. „Aber Hunger fragt nicht nach Nationalität: Serben, Kroaten und Muslime sterben gemeinsam.“

Bernhard Pötter